Verteidigung
News
Vermögensabschöpfung trotz Verfolgungsverjährung der Straftat vor Inkrafttreten der Neuregelung der Einziehungsvorschriften
Zum 1. Juli 2017 war die Neuregelung der Vorschriften zur Einziehung der aus Straftaten erlangten Vermögenswerte (§ 73 ff. StGB) in Kraft getreten. Diese sehen die Möglichkeit vor, in einem selbständigen Einziehungsverfahren auch dann aus Straftaten erlangte Vermögenswerte einzuziehen, wenn die Verfolgung der Straftat an sich wegen Verfolgungsverjährung ausgeschlossen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Februar 2021 (Aktenzeichen 2 BvL 8/1)entschieden, dass die in Artikel 316h EGStGB angeordnete Rückwirkung der Einziehungsvorschriften auch dann verfassungskonform ist, wenn hinsichtlich der zugrundeliegenden Straftat bereits vor dem 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung eingetreten war.
Patientenaufklärung über Gesundheitsprobleme des Arztes
Urteil des Landgerichts Kempten: Ergebnis und Begründung indiskutabel
Das LG Kempten hat in einem Urteil vom 8. Oktober 2020 (3 Ns 111 Js 10508/14) entschieden, dass ein Arzt zur Aufklärung über solche in seiner Person liegenden Risiken verpflichtet sei, die Einfluss auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung haben können. Unterlässt er eine solche Aufklärung, mache er sich auch dann strafbar wegen Körperverletzung, wenn er die Behandlung sachgerecht ausführt. Dieses Ergebnis, das bisher noch kein höchstrichterliches Vorbild hat, ist in dieser Pauschalität falsch. Und: Das Gericht behauptet, statt zu begründen; es unterstellt, anstatt zu erklären. Entlastende Erwägungen, auf die man hätte kommen können, sind – um des Ergebnisses willen, wenngleich vielleicht psychologisch erklärlich – nicht angestellt worden. Die Kritik, die an dem Urteil entbrennen muss, ist nicht motiviert dadurch, dass da ein Arzt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist – sie begründet sich aus der Enttäuschung über die Qualität der Entscheidung.
Besuch vom Zoll: Diese Rechte haben Unternehmer
Der BGH zum Berliner Zwillingsfall
Verurteilung bestätigt, Begründung verfehlt
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 11. November 2020 (5 StR 256/20) das sog. Gemini-Urteil des Landgerichts Berlin dem Grunde nach bestätigt. Danach hätten sich die beteiligten Geburtsmediziner wegen Totschlags in einem minder schweren Fall strafbar gemacht, indem sie im Rahmen einer Zwillingsschwangerschaft das gesunde der beiden Kinder mittels Kaiserschnitt entbanden und im unmittelbaren Anschluss daran den schwer geschädigten Zwilling töteten. Es habe sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr um eine Schwangerschaft gehandelt, bei der ein Abbruch nach § 218a Abs. 2 StGB möglich gewesen sei, sondern das Kind sei ein Mensch im Sinne der §§ 211 ff. StGB gewesen. Während der BGH den Schuldspruch damit aufrechterhielt, beanstandete er lediglich die Strafzumessung. Zu dieser Entscheidung, einen Totschlag dem Grunde nach anzunehmen, kann man kommen – wenn man es ordentlich begründet. Das haben weder das LG Berlin noch der BGH vermocht. Insbesondere der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig zeigt – nach den Urteilen zum Göttinger Organallokationsskandal (5 StR 20/16) und zur Strafbarkeit bei ärztlich assistierten Selbsttötungen (5 StR 132/18) – einmal mehr, dass gerade juristisch tragfähige Begründungen in medizinstrafrechtlichen Fällen so einfach nicht sind. Auch in dieser Entscheidung hier „menschelt“ es in Leipzig.
Neuer Zeitplan für das Wettbewerbsregister
Chancen für die Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen
Im Juli 2017 wurden durch das Wettbewerbsregistergesetz (WRegG) die Grundlagen für die Einführung eines bundeseinheitlichen Wettbewerbsregisters geschaffen. Das Gesetz sah ursprünglich vor, dass das neue Register seinen Betrieb in dem Zeitpunkt aufnehmen sollte, in dem die Bundesregierung dies durch Rechtsverordnung anordnet. Wann das geschehen würde, war allerdings unklar, eine Ankündigung der Verordnung sah das Gesetz nicht vor und so mussten Unternehmen zuletzt damit rechnen, dass das Register jederzeit „scharf gestellt“ wird.
Nachdem sich allerdings gezeigt hat, dass die Umsetzung der im WRegG vorgesehenen Melde- und Auskunftspflichten das Bundeskartellamt als registerführende Behörde vor erhebliche technische und organisatorische Herausforderungen stellt, soll die Einführung des Wettbewerbsregisters nun gestaffelt und zeitlich gestreckt erfolgen. Unternehmen und Leitungspersonen, die sich einem Straf- oder Bußgeldverfahren ausgesetzt sehen, das zu einer Eintragung in das Wettbewerbsregister führen kann, müssen diesen neuen Zeitplan kennen, weil er unmittelbare Auswirkungen auf die Verteidigung haben kann.
Psychologie im Strafverfahren
Ankereffekt, Rückschaufehler & Co.
Wer Recht hat, kann trotzdem Unrecht bekommen. Und andersherum. Heißt: Es zählt nicht nur das Argument – wichtig ist auch, wie (und sogar ob) es vorgetragen wird. Strafverteidigung sollte sich deshalb nicht auf die bloße Rechtsanwendung beschränken, auch wenn Kenntnisse im materiellen und im Verfahrensrecht unabdingbar sind. Seine Chancen auf Recht-Bekommen kann steigern, wer zudem die Erkenntnisse aus der Psychologie für sich nutzt.
Verschärfung der Haftung von Arbeitgebern für Sozialversicherungsbeiträge
Auf die vom BGH 2018 angekündigte Änderung seiner Rechtsprechung zu § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) hat der Gesetzgeber mit der Einführung eines neuen Bußgeldtatbestands in § 8 Abs. 3 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) reagiert. Dieser Bußgeldtatbestand wird insbesondere in den juristisch nicht abschließend geklärten Bereichen der abhängigen Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV von Bedeutung sein.
Strafbarkeit bei verwaltungsakzessorischen Tatbeständen auch bei materieller Genehmigungspflicht
Der BGH hat eine folgenreiche Entscheidung getroffen: Wo ein Handeln ohne behördliche Erlaubnis unter Strafe gestellt wird, ist der formale Mangel der Erlaubnis maßgebend, materielle Genehmigungsfähigkeit und sogar Genehmigungspflicht nützen nicht. Dramatische Auswirkungen über die Vermögensabschöpfung sind zu erwarten.
BMJV veröffentlicht Referentenentwurf eines Verbandssanktionengesetzes
Anwendungsbereich auf Wirtschaftsunternehmen beschränkt und keine Zwangsauflösung
Nachdem bereits im August 2019 eine Entwurfsfassung öffentlich geworden war, hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) nunmehr am 21. April 2020 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vorgelegt. Kern des Gesetzesvorhabens ist das neue Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (VerSanG). Mit diesem soll die Sanktionierung von Wirtschaftsunternehmen auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden. Der Entwurf sieht u.a. einen Ermittlungszwang der Verfolgungsbehörden, einen erhöhten Sanktionsrahmen von bis zu 10 % des durchschnittlichen jährlichen (Konzern-)Umsatzes sowie Regelungen zur Bedeutung von Compliance-Maßnahmen und zum Umgang mit Internal Investigation im Zusammenhang mit Sanktionsverfahren gegen Verbände vor.