Rückwirkende Anwendung des neuen Vermögensabschöpfungsrechts möglicherweise verfassungswidrig
Der Bundesgerichtshof (BGH) hält Übergangsvorschriften zum neuen strafrechtlichen Vermögensabschöpfungsrecht in einem Teilbereich für verfassungswidrig und hat dementsprechend dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Art. 316h Satz 1 EGStGB zur Prüfung vorgelegt.
Der Fall
Gegenstand des BGH-Beschlusses ist ein Verfahren vor dem Landgericht Oldenburg gegen zwei Angeklagte wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Nebenbeteiligte des Verfahrens waren zwei von den Angeklagten geleitete Unternehmen.
Nach den Feststellungen des Landgerichts beschäftigte eines der nebenbeteiligten Unternehmen auf Vermittlung des anderen im Tatzeitraum vom 25. Februar 2008 bis zum 31. Juli 2010 insgesamt 933 bulgarische Arbeiter, die mehr als 830.000 Arbeitsstunden leisteten. Die dafür erforderlichen Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit waren nicht beantragt und die Beschäftigungsverhältnisse durch die Angeklagten mittels Scheinwerkverträgen verschleiert worden.
Die Angeklagten wurden vom Vorwurf der Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG (bzw. der Beihilfe hierzu) freigesprochen, da die Angeklagten die entsprechenden Taten zwar verwirklicht hätten, allerdings ab dem 31. Juli 2016 Verfolgungsverjährung eingetreten sei.
Das Landgericht ordnete gleichwohl gegen die beiden nebenbeteiligten Unternehmen die Einziehung des Wertes von Taterträgen, nämlich in Höhe der geleisteten Arbeitsstunden von mehr als 10,5 Mio. Euro und in Höhe des Erlöses aus den Vermittlungsleistungen in Höhe von 72.000 Euro, an.
Nach dem seit dem 1. Juli 2017 geltenden neuen Recht der Vermögensabschöpfung ist die Einziehung von Taterträgen auch in Bezug auf verjährte Taten zulässig (§ 76a Abs. 2 S. 1 StGB). Die Übergangsvorschrift des Art. 316h Satz 1 EGStGB, die das Landgericht im vorliegenden Fall angewendet hatte, bestimmt, dass die neuen Einziehungsvorschriften auch rückwirkend auf Taten anzuwenden ist, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts begangen wurden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der 3. Strafsenat des BGH hält Art. 316h Satz 1 EGStGB für verfassungswidrig, da die rückwirkende Anwendung der Vermögensabschöpfung auf den verjährten Sachverhalt gegen das verfassungsrechtliche Verbot echt rückwirkender Gesetze verstoße (BGH, Beschl. v. 7.3.2019 – 3 StR 192/18).
Auch wenn der Gesetzgeber mit der Reform der Vermögensabschöpfung ein legitimes Ziel verfolge – strafrechtswidrig geschaffene Vermögenslagen zukunftsbezogen zu beseitigen – und ihm bei der Erreichung dieses Ziels ein weiter Ermessenspielraum zustünde, verstoße Art. 316h Satz 1 EGStGB gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes.
Verjährungsvorschriften dienten dazu, Rechtssicherheit dergestalt herzustellen, dass der Betroffene nach Ablauf der Verjährung nicht mehr mit einer nachträglichen Ahndung seines Verhaltens rechnen müsse.
Der 3. Strafsenat hat daher auf die Revision der nebenbeteiligten Unternehmen gegen die selbstständige Einziehung das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem BVerfG folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
„Ist Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbar, soweit er § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB sowie § 76b Abs. 1 StGB jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 in Fällen für anwendbar erklärt, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung eingetreten war?“
Fazit und Praxishinweise
Die Entscheidung ist von hoher praktischer Relevanz, da Gerichte und Staatsanwaltschaften nach dem neuen Abschöpfungsrecht in stärkerem Maße als früher verpflichtet sind, Maßnahmen zur Vermögenseinziehung anzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn eine strafrechtliche Ahndung der Tat wegen Verjährung nicht mehr möglich ist. Gerade in solchen Fällen ist auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden das Bestreben festzustellen, dass, wenn der Täter schon nicht bestraft werden kann, so sollen ihm wenigstens nicht die durch die Tat erlangten Vermögensvorteile verbleiben, denn - so das Mantra der Befürworter einer Ausweitung der Vermögensabschöpfung - Verbrechen dürfe sich nicht lohnen.
Spannend wird zudem sein, ob das Bundesverfassungsgericht zu der in Praxis und Literatur vielfach diskutierten Frage Stellung beziehen wird, ob die Vermögensabschöpfung eine Art von Strafe ist, die verfassungsrechtlich unter keinen Umständen rückwirkend verhängt werden darf.