Ermittlungen nach dem Anschlag von Magdeburg
Strafverteidigung von Entscheidungsträgern in Krisenzeiten
Der Alltag in Politik und Verwaltung ist komplex – voller Entscheidungen, die in aller Schnelle getroffen werden müssen und weitreichende Konsequenzen haben können. Doch was, wenn ein Anschlag oder eine Katastrophe die Frage nach Schuld und Verantwortung aufwerfen? Wenn Politiker und Beamte plötzlich nicht nur unter medialem, sondern auch juristischem Druck stehen?
Genau das erfahren derzeit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Magdeburg sowie der Betreibergesellschaft des Magdeburger Weihnachtsmarktes, gegen die seit Januar ermittelt wird. Hintergrund ist der Terroranschlag von Taleb A. im Dezember 2024 mit sechs Toten und mehreren hundert Verletzten. Welche strafrechtlichen Risiken für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in einer solchen Situation bestehen und warum die Wahl der richtigen Verteidigung entscheidend ist – hierzu im Folgenden
Warum die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg nun ermittelt
Magdeburg im Dezember 2024: Taleb A. fährt mit einem Auto in den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Sechs Menschen sterben, etwa dreihundert werden verletzt. Am Tag nach dem mutmaßlichen Anschlag verspricht der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, umfassende Aufklärung. Die Aufarbeitung des Anschlags erfolgt auf mehreren Ebenen: Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg führt die strafrechtlichen Ermittlungen, während der Landtag von Sachsen-Anhalt einen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat, um mögliche Versäumnisse und Fehler der Behörden zu untersuchen. Zudem ist auf Bundesebene das Parlamentarische Kontrollgremium mit dem Sachverhalt befasst.
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ermittelt inzwischen nicht mehr allein gegen Taleb A., sondern auch gegen Mitarbeiter der Stadt Magdeburg sowie der Betreibergesellschaft des Magdeburger Weihnachtsmarktes. Es steht der Verdacht im Raum, dass der Gefahr durch den späteren Täter nicht wirksam begegnet wurde. Auch das Sicherheitskonzept des Magdeburger Weihnachtsmarktes wird geprüft. Taleb A. nutzte eine etwa sechs Meter breite Lücke an einer Fußgängerampel am Rande des Weihnachtsmarktes, um in die Menschenmenge zu fahren. Laut einer Recherche der Magdeburger Volksstimme hatte das Innenministerium die Polizeibehörden zuvor in einem Erlass auf die besondere Gefährdungslage hingewiesen und empfohlen, gemeinsam mit den Veranstaltern für Sicherheit zu sorgen, unter anderem durch Zufahrtssperren. Zudem hatten die Sicherheitsbehörden im Vorfeld mehr als 100 Vorfälle im Zusammenhang mit Taleb A. registriert. Ob die Sicherheitsbehörden angesichts dieser Hinweise entschlossener gegen Taleb A. hätten vorgehen müssen, soll nun die Generalstaatsanwaltschaft ermitteln.
Politische Verantwortung nach Großschadensereignissen
Großschadensereignisse wie Terroranschläge, Amokläufe oder Katastrophen werfen unweigerlich Fragen nach der Verantwortung auf. War die Sicherheitslage ausreichend analysiert? Wurde allen Verdachtsmomenten adäquat nachgegangen? Wie hätte das Ereignis verhindert werden können? Diese Fragen treffen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im Kern ihrer Tätigkeit – und, wenn Ermittlungsbehörden sie stellen, auch in ihrer beruflichen Existenz. Die strafrechtliche Aufarbeitung derartiger Ereignisse ist aufwendig und kompliziert. Zahlreiche Gutachten, Vermerke und Stellungnahmen müssen ausgewertet werden, um beantworten zu können, ob jemand die nötigen Informationen zum entscheidenden Zeitpunkt hatte. Über der gesamten Ermittlungstätigkeit schwebt außerdem die Gefahr des Rückschaufehlers: Es muss ein Fehlverhalten gerade in der Entscheidungssituation nachgewiesen werden – es reicht nicht aus, dass mit dem Wissen im Nachhinein entschlossener agiert worden wäre. Bis zu einem Ergebnis der Ermittlungen können Jahre vergehen. So mussten etwa Verfahren gegen Verantwortliche der Stadt Duisburg im Zuge der Love-Parade-Katastrophe nach fast zehn Jahren eingestellt werden, weil die Taten nicht mehr rechtzeitig vor der Verjährung aufgearbeitet werden konnten.
Wer in den Fokus der Ermittlungsbehörden geraten kann
Bislang wurden mindestens drei Strafanzeigen gegen Verantwortliche der Stadt, der Polizei und der Betreibergesellschaft des Magdeburger Weihnachtsmärkte erstattet. Laut Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg könnten Ermittlungen gegen weitere Akteure folgen. Dabei steht der Vorwurf der fahrlässigen Tötung im Raum.
Neben Politikern und Verwaltungsangestellten können, wie im Fall Magdeburg, auch Mitarbeiter von Auftragnehmern wie Planungsfirmen und Veranstaltern in den Fokus der Ermittlungsbehörden rücken. Für die Betroffenen haben die Ermittlungen weitreichende Konsequenzen. Neben strafrechtlichen Risiken und jahrelanger Unsicherheit drohen berufliche Nachteile, im öffentlichen Dienst auch das Ende der Laufbahn. Erschwerend kommt die mediale Berichterstattung hinzu.
Die Verteidigung
Die Verteidigung von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Verfahren nach Großschadensereignissen erfordert nicht nur juristische Expertise, sondern auch einen besonnenen Umgang mit der Öffentlichkeit sowie viel Einfühlungsvermögen. Im Fokus stehen daher neben einer tiefgehenden Analyse vor allem eine möglichst frühe Intervention und eine strategische Kommunikation, dazu die Kenntnis verfahrenspsychologischer Vorgänge, denn: Im Kern des Menschen liegen ein Drang zur Kausalitätserklärung und ein Drang zum Strafen, was sich nachteilig für Entscheidungsträger auswirken kann, wenn – wie die Strafanzeigen hier zeigen – ein Schuldiger gesucht wird, der das fatale Ereignis hätte verhindern können. Dagegen zu verteidigen, zumal in umfangreichen Verfahren gegen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung, ist herausfordernd – und sehr gut möglich. Und wer in einem Untersuchungsausschuss angehört werden soll, ist mit einem guten Zeugenbeistand gut beraten.
Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel