Politikstrafrecht: Der neue Straftatbestand § 108f StGB
Unzulässige Interessenwahrnehmung
Nach diversen politischen Ereignissen, vielfach als Skandale bezeichnet, ist er nun – manche sagen: endlich! – strafbar: der politische Einflusshandel. Waren es im Fall Amthor Aktienoptionen und Luxusreisen, für die der Parlamentarier Lobbyarbeit zu Gunsten eines Unternehmens geleistet habe, standen in der sog. Maskenaffäre Provisionen für die Vermittlung von Atemschutzmasken im Mittelpunkt, und in der Aserbaidschan-Affäre sollen Gelder dafür geleistet worden sein, dass Politiker sich für die Belange des Regimes in Baku eingesetzt haben. Die (zumindest gefühlt) mehrheitliche politische wie gesellschaftliche Meinung: alle drei Fälle sollten strafbar sein.
Die Konsequenzen der Justiz
In dem Fall Amthor sah die Staatsanwaltschaft seinerzeit schon keinen Anfangsverdacht für eine Straftat.
Das war anders in der sog. Maskenaffäre: Nachdem ein Bundestags- und ein Landtagsabgeordneter sich gegen Entgelt in sechs- bis siebenstelliger Höhe unter Einsatz ihrer Autorität und ihres Einflusses als Abgeordnete (unter Verwendung ihrer Kürzel „MdB“ bzw. „MdL“) gegenüber Bundes- und Landesbehörden dafür eingesetzt hätten, dass Kaufverträge über Atemschutzmasken u. a. mit der Firma des zahlenden Unternehmers abgeschlossen worden seien, leitete die Generalstaatsanwaltschaft München im März 2021 gegen die Unternehmer sowie die beiden Abgeordneten Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Verdachts der Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgern (§ 108e StGB) ein, in deren Rahmen gegen einen der beschuldigten Privatunternehmer ein Haftbefehl erlassen sowie gegen alle Beschuldigten der Vermögensarrest angeordnet wurde. Allerdings waren die gegen die Haft- und Vermögensarrestanordnungen gerichteten Beschwerden der Beschuldigten erfolgreich: Nicht nur die Strafsenate des OLG München hoben die ergangenen Haft- und Vermögensarrestanordnungen auf, weil das den Beschuldigten vorgeworfene Handeln nicht als Bestechlichkeit und Bestechung von Abgeordneten nach § 108e StGB strafbar sei – auch der Bundesgerichtshof entschied, dass das Verhalten nicht strafbar war. Begründung: Das in § 108e Abs. 1 und 2 StGB normierte Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ sei dahin zu verstehen, dass die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken des Abgeordneten im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Parlamentsmitgliedern besetzten Kommissionen, erfasst sei (BGH, Beschl. v. 05.07.2022 – StB 7 - 9/22). Allein die zwischen den Beteiligten vereinbarte Berufung auf den Abgeordnetenstatus zur Beeinflussung von Behördenentscheidungen bei außerparlamentarischen Betätigungen im Interesse eines Privatunternehmers und ohne Vorgabe, im Auftrag des Parlaments zu handeln, begründe eine Strafbarkeit gemäß § 108e Abs. 1 und 2 StGB nicht.
Lediglich in der sog. Aserbaidschan-Affäre ist es nunmehr zu Anklagen wegen des Vorwurfs der Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgern nach § 108e StGB gekommen. Ausgang: offen.
Die Konsequenzen des Gesetzgebers
In Konsequenz der Straffreiheit der Abgebordneten insbesondere im Fall der sog. Maskenaffäre hat der Gesetzgeber § 108f StGB geschaffen. Seit dem 18. Juni 2024 ist damit die unzulässige Interessenwahrnehmung ein eigenes, neues Delikt, wobei sich nach der Bestechlichkeitsvariante gemäß § 108f Abs. 1 StGB (die Bestechung ist in § 108f Abs. 2 StGB geregelt) strafbar macht, wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder, als Mitglied des Europäischen Parlaments oder der parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er während seines Mandates zur Wahrnehmung von Interessen des Vorteilsgebers oder eines Dritten eine Handlung vornehme oder unterlasse – sofern eine solche entgeltliche Interessenwahrnehmung die für die Rechtsstellung des Mandatsträgers maßgeblichen Vorschriften verletzen würde. Der Strafrahmen geht von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
Damit soll nunmehr auch der entgeltliche Lobbyismus, die entgeltliche Interessenwahrnehmung (vgl. § 44a Abs. 3 AbgG), unter gewissen Voraussetzungen strafbar sein; verboten ist, das Mandat zu eigennützigen Zwecken auszunutzen, auch unterhalb der Frage der Bestechlichkeit.
Was und wer erst gar nicht von der Norm umfasst ist
Anders als § 108e StGB (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) gilt § 108f StGB nicht für Kommunalpolitiker und -politikerinnen. Für diese gelten weiterhin nur die „üblichen“, bisher gültigen Korruptionsvorschriften, also § 108e StGB oder, sofern es sich um Amtsträger wie bspw. Oberbürgermeister oder Bürgermeister handelt, die Vorschriften zur Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (§§ 331, 332 StGB).
Ebenfalls nicht umfasst von § 108f StGB sind erst künftige Parlamentarier. Der Vorteilsnehmer muss das Mandant im Zeitpunkt der Unrechtsvereinbarung bereits innehaben. Eine bloße Kandidatur, ein Kandidatenstatus, genügt nicht, auch wenn die Kandidatur später erfolgreich ist.
Und: Anders als die Vorschriften zur Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, auch der Bestechlichkeit von Mandatsträgern, inkriminiert der neue § 108f StGB nicht die Forderung, das Sich-versprechen-Lassen oder die Annahme jedweden Vorteils, sondern nur von Vermögensvorteilen. Damit könnten immaterielle Vorteile wie sexuelle Dienstleistungen oder auch verbotene Dinge wie Drogen aus dem Anwendungsbereich womöglich ausgeschlossen sein.
Letztlich ist § 108f StGB nur auf ungerechtfertigte Vermögensvorteile beschränkt. Nicht von der Norm umfasst sind damit sämtliche Vorteile, die parlamentsrechtlich erlaubt sind, etwa Aufwandsentschädigungen für Ehrenämter.
Vorteile, die nicht nur während, sondern sogar bei der Wahrnehmung des Mandates erfolgen, also über „Nebentätigkeiten“ hinausgehen, sind weiterhin von dem Verbrechenstatbestand des § 108e StGB, Bestechlichkeit von Mandatsträgern, erfasst.
Welche Verteidigungschancen im Einzelfall bestehen könnten
Heißt es oben, dass kein ungerechtfertigter Vermögensvorteil vorliegt, wenn etwas parlamentsrechtlich erlaubt ist, ist das näher zu präzisieren: Es ist nicht nur erlaubt, was parlamentsrechtlich erlaubt ist – es ist auch das erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Wenn es in § 108f Abs. 1 S. 2 StGB heißt, eine Strafbarkeit könne nur dann bestehen, wenn eine solche entgeltliche Interessenwahrnehmung die für die Rechtsstellung des Mandatsträgers maßgeblichen Vorschriften verletzen würde, bedeutet das, dass es solche Vorschriften überhaupt geben muss. Solche außerstrafrechtlichen (sog. blankettausfüllenden) Normen gibt es aber etwa in den Landesparlamenten nur sehr vereinzelt, und auch die Verhaltenskodizes z. B. des Europäischen Parlaments dürften eher nicht genügen, wenn man Art. 103 Abs. 2 GG ernst nimmt.
Überhaupt bietet das Merkmal des ungerechtfertigten Vermögensvorteils Argumentationspotenzial, ebenso das Erfordernis der Unrechtsvereinbarung.
Worauf es in der Verteidigung ankommt
Am besten ist stets, die Notwendigkeit einer Verteidigung dadurch auszuschließen, dass man sich im Vorfeld rechtlich beraten lässt. Ist das unterblieben oder trotzdem ein Strafverfahren eingeleitet worden, ist von erheblicher Relevanz, so früh wie möglich und proaktiv zu verteidigen. Ermittlungen wie auch die öffentliche Meinung können sich schnell verselbstständigen, weshalb man früh die Deutungshoheit an sich ziehen, sie jedenfalls beeinflussen sollte. Eine kluge Verteidigung hat deshalb nicht nur die mannigfachen Auslegungsschwierigkeiten im Blick, die ein neuer Straftatbestand materiell-rechtlich immer mit sich bringt – sie betrachtet beständig auch den Gesamtkontext, der im politischen Rahmen ein ganz besonderer, zumal sehr (eigen-)dynamischer, ist. Wer zu lange wartet, droht nicht nur das Strafverfahren zu verlieren, zumal ein Gericht u. U. auch die Fähigkeit aberkennen kann, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen.
Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel
Dr. David Albrecht