Wenn auf Großbaustellen Fehler passieren, können Personen, Gebäude, die Natur Schaden nehmen. Probleme bei der Statik, verletzte Prüfpflichten, kleinste Beschädigungen an einzelnen Gewerken führen dann schlimmstenfalls zu Toten und Verletzten – und zu Verfahren wegen fahrlässiger Tötung ( § 222 StGB) oder Körperverletzung (§ 229 StGB) oder Baugefährdung (§ 319 StGB). In Fällen dieser Art bedarf es einer juristisch fundierten wie menschlichen Strafverteidigung.

Beispiel 1

Am 15. Juni 2016 stürzt die Schraudenbach-Talbrücke bei Werneck in Unterfranken während der Bauarbeiten ein. 14 Arbeiter werden (teils lebensgefährlich) verletzt, ein Arbeiter stirbt. Vor Gericht stehen nunmehr, sieben Jahre später, ein Statiker und drei Prüfingenieure.

Der Vorwurf rechtlich: fahrlässige Tötung und (in 14 Fällen) fahrlässige Körperverletzung, zum Teil begangen durch aktives Tun, zum Teil durch Unterlassen.

Der Vorwurf tatsächlich: Die Beschuldigten sollen nicht mit der nötigen Sorgfalt die Statik für die Traggerüstkonstruktion berechnet und die entsprechenden Zeichnungen angefertigt haben bzw. hätten die Prüfung der statischen Konstruktion nicht hinreichend durchgeführt.

Einen ersten Prozess gibt es schon 2019 – und er wird wegen Problemen um die Gutachtenerstattung ausgesetzt. Jetzt, vier Jahre später, gibt es einen zweiten Anlauf.

Beispiel 2

Am 3. März 2009 stürzt das Historische Stadtarchiv der Stadt Köln ein, ferner zwei benachbarte Wohngebäude. Die Kölner Nord-Süd-Stadtbahn sollte gebaut werden. Zwei Menschen sterben. Für das Bauvorhaben ist eine Baugrube auszuheben. Es kommt bei der Errichtung einer Schlitzwand zu mehreren Zwischenfällen, Baugerät wird beschädigt, auch die Wand. Letztlich dringen Wasser ein und Sand und Erdreich, es kommt zu einer Verkettung unglücklicher Umstände, zu einem Hohlraum unter den anliegenden Gebäuden, zu deren Einsturz und zu den Todesfällen.

Der Vorwurf rechtlich: fahrlässige Tötung durch Unterlassen zweier Bauleiter.

Der Vorwurf tatsächlich: Die Übergabe der Baustelle zwischen mehreren Abteilungen soll nicht funktioniert haben, Unregelmäßigkeiten sei nicht nachgegangen worden, die Überwachungspflicht gegenüber der Baumannschaft sei verletzt, Kontrollen seien nicht durchgeführt worden.

Das Landgericht Köln hat die beiden Angeklagten freigesprochen, der Bundesgerichtshof hat die Freisprüche aufgehoben (vgl. hierzu Vogel, . Es wird erneut verhandelt.

Was juristisch zu beachten ist

Verfahren dieser Art bedürfen vertiefter Kenntnisse der Fahrlässigkeitsdogmatik. Es kommt regelmäßig zu Fragen der Arbeitsteilung, sowohl vertikaler als auch horizontaler Art, und des Vertrauensgrundsatzes. In aller Regel sind Gutachten Teil der Ermittlungen, wobei von der Beauftragung über die Fertigung bis zu dem Verständnis von Sachverständigengutachten zahlreiche Fallstricke lauern. Nicht zuletzt kann solche Verfahren nur erfolgreich führen, wer frühzeitig mit der Verteidigung beginnt – das Ermittlungsverfahren frühestmöglich aktiv zu begleiten ist, selbst wenn es später zu einer Hauptverhandlung kommt, Kern des Erfolgs, den man erzielen möchte.

Was psychologisch und menschlich zu beachten ist

Wer rein auf das materielle sowie das Prozessrecht schaut, denkt zu kurz. Schadensereignisse dieser Art rütteln an unser aller Sicherheitsgefühl, aktivieren unseren menschliches Drang nach einer Bestrafung und sind Einfallstor für diverse Denkfallen. Wer um den desaströsen Ausgang des Geschehens weiß, tendiert dazu, die Unsicherheiten der Entscheidung damals auszublenden und alles als vorhersehbar fehlzuinterpretieren – das ist ein sog. Rückschaufehler (hindsight bias). Wer eine erste Arbeitshypothese hat, versucht intuitiv, diese These zu bestätigen, anstatt auch Alternativszenarien hinreichend zu bedenken – das ist ein sog. Bestätigungsfehler (confirmation bias). Und dann kann unser juristisches Bauchgefühl zudem von Emotionen, Empathie, interessengeleitetem Framing beeinflusst sein – das ist dann die Verfahrenspsychologie in Gänze.

Demgemäß muss eine Verteidigung stets das Menschliche im Blick behalten, die verschiedenen kognitiven Schemata, die Emotionen bis hin zu dem Sicherheitsgefühl, den Urängsten von uns allen.

Nur diese Trias aus materiellem Recht, Verfahrensrecht und Verfahrenspsychologie erhöht die Chancen, erfolgreich ein solches, meist langes Strafverfahren zu überstehen. Und auch wenn eine Verteidigung immer noch möglich ist, selbst wenn man später einsteigt, so sind die Chancen klar am größten, wenn die Verteidigung so früh wie möglich beginnt: unmittelbar nach dem Unfall, jedenfalls aber mit der Anhörung als Beschuldigter oder nach einer Durchsuchung. Wer sich zu spät verteidigt, läuft Gefahr, sich selbst zu schädigen.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel