Komplikationen zu Beginn des Lebens, bei der Geburt, können fatale Auswirkungen haben. In diesem gefahrgeneigten Bereich sind nicht nur Ärztinnen und Ärzte tätig, sondern auch Hebammen und Entbindungspfleger. Verwirklicht sich ein Risiko, kann es nicht nur zu hohen Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen kommen, sondern auch zu Strafverfahren.

Der Fall

Eine Schwangere in der 40. Schwangerschaftswoche (SSW) traf 2:55 Uhr in dem Klinikum ein, dabei weder über Wehen noch über Schmerzen klagend, doch sie äußerte die Vermutung eines Blasensprungs mit Flüssigkeitsabgang. Ob die Mutter der Hebamme bei einem vorherigen Telefonat sowie erneut in dem Klinikum auch über eine stattgehabte Blutung berichtet hatte, war streitig. Die Hebamme fertigte kurz darauf, 2:57 Uhr, ein CTG an; Voruntersuchungen oder eine vaginale Untersuchung nahm sie nicht vor. Das CTG zeigte leichte unregelmäßige Wehen und Auffälligkeiten mit Herztonabfällen. Wegen weiterhin bestehender Herztonabfälle rief die Hebamme 3:15 Uhr die Gynäkologin hinzu, die 3:18 Uhr im Kreißsaal erschien. Die Kindesmutter gab gegenüber der Ärztin vaginale Blutungen an. Nach einer Ultraschalluntersuchung löste die Ärztin wegen des Verdachts auf eine Plazentaablösung um 3:26 Uhr den Alarm für einen Notkaiserschnitt aus. Um 3:34 Uhr wurde das Kind entbunden. Es litt unter einer Sauerstoffunterversorgung, hatte eine Herzfrequenz von 40/min und es lag ein akutes Nierenversagen vor. Es erfolgte eine Reanimation. Am Ende blieb ein dauerhafter, erheblicher Hirnschaden.

Die Entscheidung


Das OLG Rostock hat in dem zivilrechtlichen Verfahren auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,00 € erkannt, weil die Hebamme mehrere Fehler begangen habe (OLG Rostock, Urt. v. 05.11.2021 – 5 U 119/13).

Das Gericht war überzeugt, dass die Mutter der Hebamme von Blutungen berichtet hatte. Vor diesem Hintergrund sei die Hebamme verpflichtet gewesen, aufgrund der ihr mitgeteilten Blutung die Vorlage zu kontrollieren und bei einem entsprechenden Befund sogleich einen geburtshilflich erfahrenen Arzt oder sogar Oberarzt herbeizurufen. Das hätte hier mehrere Minuten früher erfolgen müssen. Diese Fehler seien zumindest mitursächlich gewesen für den späteren Gesundheitsschaden.

Konsequenz


Ob hier neben dem Zivilrechtsstreit auch ein Strafverfahren geführt worden ist, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Tatsächlich ist solch ein Fall bei einem Zivilgericht weit besser aufgehoben als bei einer Staatsanwaltschaft. Wäre das Kind indes gestorben, wäre automatisch auch ein sog. Todesermittlungsverfahren und damit sicherlich ein Strafverfahren eingeleitet worden. In diesen Fällen kommt es auf den Willen der Eltern nicht (oder nur im Rahmen der Strafzumessung) an. Aber auch in solchen Fällen wie hier erstatten Eltern gelegentlich Strafanzeige – und ein Strafverfahren beginnt.

Wird ein Strafverfahren gegen eine Hebamme oder einen Entbindungspfleger geführt, ergeben sich zum Teil andere Rechtsfragen als in einem Zivilverfahren. Zwar ist genauso zu klären, ob ein Behandlungsfehler, ein Befunderhebungsfehler oder eine sonstige Verletzung des Standards vorliegt oder wann eine Ärztin hätte gerufen werden müssen. Ferner spielen Kausalitätsfragen eine große Rolle. Anders als in einem Zivilverfahren kann es aber nicht zu einer Umkehrung der Beweislast kommen (Stichwort: grober Behandlungsfehler), sondern die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssen selbst einen Tatnachweis führen – die Kausalität und der Pflichtwidrigkeitszusammenhang müssen also zweifelsfrei feststehen.

Um solche Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) oder unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) gut zu bewältigen, ist eine medizinstrafrechtliche Expertise unabdingbar, und zwar sofort, also spätestens dann, wenn man die Beschuldigtenanhörung der Polizei im Briefkasten hat. Der Umgang mit Gutachten und Gutachtern, mit den Angehörigen des Kindes, der Polizei, der Staatsanwaltschaft verlangt der Verteidigung einen Rundumblick ab sowie eine professionelle Verteidigungsstrategie: in materiell-rechtlicher, verfahrensrechtlicher, menschlicher, verfahrenspsychologischer Hinsicht. Ein Laufenlassen eines solchen Strafverfahrens wäre: seinerseits fatal.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel