Beschlagnahmefreiheit für anwaltliche Compliance-Ombudspersonen?
Anmerkungen zu der katastrophalen und falschen Entscheidung des LG Bochum vom 16.03.2016
Dürfen Informationen anonymer Hinweisgeber bei als Compliance-Ombudspersonen fungierenden Rechtsanwälten beschlagnahmt werden?
Die Frage, ob von Rechtsanwälten im Rahmen interner Untersuchungen erstellte Unterlagen der Beschlagnahme zugänglich sind, ist von der Rechtsprechung bis dato nur uneinheitlich beantwortet worden. Während das LG Hamburg 2010 entschied, dass anwaltliche Unterlagen aus Internal Investigations sowohl bei dem Unternehmen als auch beim Anwalt beschlagnahmt werden dürfen (Beschl. v. 10.10.2010 – 608 Qs 18/10), verneinte das LG Mannheim zwei Jahre später immerhin die Möglichkeit der Beschlagnahme in der Anwaltskanzlei (Beschl. v. 03.07.2012 – 24 Qs 1/12), sofern sich der Anwalt nicht als Außendepot für Mandantenunterlagen missbrauchen lässt. Das LG Braunschweig letztlich (Beschl. v. 21.07.2015 – 6 Qs 116/15) ließ eine Beschlagnahme weder bei dem Anwalt noch beim Unternehmen zu.
Die Frage, wie es um die Beschlagnahmefähigkeit von Informationen von und über Hinweisgeber bei Compliance-Ombudspersonen bestellt ist, hat nunmehr das LG Bochum erstmals beantwortet – und zu Gunsten einer Beschlagnahme bejaht (Beschl. v. 16.03.2016 – 6 Qs 1/16). Wir hoffen dringend, dass die nachfolgende Rechtsprechung eine ähnliche Entwicklung nehmen wird wie in den drei oben erwähnten Fällen um die Internal Investigations.
Wir halten die Entscheidung für falsch. Die Rechtslage wird nicht erfasst, und die Entscheidung konterkariert die Bemühungen von Unternehmen und der öffentlichen Hand, Ombudsleute und Vertrauensanwälte als Mittel von Criminal Compliance zu etablieren.
Der Fall: Die Ombudsanwältin schützt die Identität der Hinweisperson
Der Vorsitzende der Geschäftsführung eines Unternehmens stand im Fokus von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts u. a. der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und der Untreue in Millionenhöhe. Im Rahmen einer Überwachung der privaten E-Mail-Adresse des Beschuldigten wurde eine E-Mail aufgezeichnet, welche die Integritätsbeauftragte des Unternehmens an den Beschuldigten gesandt hatte. Der E-Mail war ein nicht vollständiger Scan einer Anzeige gegen den Beschuldigten als Anlage beigefügt, in der massive Untreuevorwürfe gegen den Beschuldigten geäußert wurden. Auf Nachfrage gab die Integritätsbeauftragte an, die Anzeige sei nicht bei ihr, sondern bei der Ombudsanwältin des Unternehmens, einer Rechtsanwältin, eingegangen. Um in den Besitz der vollständigen E-Mail zu gelangen, erwirkte die Staatsanwaltschaft (erfolgreich) einen Durchsuchungsbeschluss für die Geschäftsräume der Ombudsanwältin. Diese widersprach der Beschlagnahme und legte Beschwerde gegen den Beschluss ein.
Die Entscheidung: Die Durchsuchung zur Feststellung der Identität der Hinweisperson wird gebilligt
Das Landgericht versagte der Beschwerde den Erfolg. Insbesondere habe kein Beschlagnahmeverbot bestanden hinsichtlich der E-Mail des Hinweisgebers.
- 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO sei dergestalt einschränkend auszulegen, dass allein das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten im Strafverfahren zu einem von ihm in Anspruch genommenen Zeugnisverweigerungsberechtigten durch ein Beschlagnahmeverbot geschützt sei, nicht jedoch die Beziehung eines Nichtbeschuldigtem zu einem Berufsgeheimnisträger. Mithin könne mit Blick auf den anonymen Hinweisgeber, der kein Beschuldigter sei, § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht greifen.
Gleichsam ein mandatsähnliches Verhältnis bestehe zwischen beiden nicht. Die Ombudsperson teile, selbst wenn sie anonymen Hinweisgebern Vertraulichkeit zusichere, ein Vertrauensverhältnis nur mit dem sie beauftragenden Unternehmen. Die Annahme eines konkludenten Mandatsverhältnisses (auch) zu dem Hinweisgeber würde bedeuten, dass womöglich ein Interessenkonflikt hinsichtlich beider Auftraggeber ent- oder bestünde, der zumindest standesrechtlich die Integrität der Ombudsperson in Frage stellte.
Über § 97 StPO hinaus ergebe sich auch kein direkt aus dem Grundgesetz herzuleitendes Beschlagnahmeverbot. Gründe dafür, im Verhältnis zwischen Ombudsperson und anonymem Hinweisgeber einen Vertrauensschutz mit der Folge eines Beschlagnahmeverbotes anzunehmen, seien nicht ersichtlich, weil weder ein besonders sensibler Bereich der Privatsphäre des Hinweisgebers betroffen sei noch dieser (über eine Stellung als Zeuge hinausgehende) Ermittlungsmaßnahmen dulden müsse. Auch prozessuale Schutzvorschriften zu seinen Gunsten würden nicht umgangen.
Ein Beschlagnahmeverbot nach § 160a Abs. 1 StPO scheitere an der Spezialität des § 97 StPO.
Im Übrigen sei die Maßnahme auch – jedenfalls angesichts des erheblichen Tatvorwurfs – verhältnismäßig.
Befürworter der Entscheidung des LG Bochum
Der Staatsanwalt Sotelsek (NStZ 2016, 502, 503 f.) begrüßt die Entscheidung und versteigt sich zu der Behauptung, Rechtsanwälte als Ombudspersonen seien nicht anwaltlich, sondern als bloße Boten tätig. Er wirft unserer Kanzlei und unserem Hamburger Kollegen Dr. Oliver Pragal vor, auf unseren Websites falsche Versprechen zu machen, wenn wir Hinweisgebern Vertraulichkeit zusagen.
Wäre eine solche Entscheidung auch in anderen Bundesländern denkbar?
Wir beginnen unsere Kritik jenseits der Rechtsdogmatik: Bochum liegt in NRW. NRW hat anders als andere Bundeslänger kein Hinweisgebersystem. Berlin hat einen Vertrauensanwalt (gehabt, die Stelle wird neu besetzt werden). Auch andere Bundesländer setzen auf Ombudspersonen zur Entgegennahme vertraulicher Hinweise auf Rechtsverstöße
Die vom LG Bochum gebilligte Durchsuchung zielte auf Namhaftmachung der Hinweisperson. Es ging um die Kopfzeilen einer E-Mail, die von der Ombudsanwältin bei der Übermittlung entfernt worden waren. Die mit staatlicher Gewalt durchgesetzte Namhaftmachung von Hinweispersonen, die zugesicherte Vertraulichkeit in Anspruch nehmen, beschädigt das Ombudsmannsystem schwerwiegend, weil es die Vertrauensgrundlage angreift. Ein Berliner Staatsanwalt würde das wissen und es sich dreimal überlegen, ob er einen solchen Antrag bei dem Ermittlungsrichter stellt.
Der anwaltliche Geschäftsbesorgungsvertrag
Dem LG Bochum scheinen die Basics eines anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrags, dessen Kern die Tätigkeit als Ombudsanwalt ist, unbekannt zu sein. Ob hier ein mangelhafter Vortrag der betroffenen Ombudsanwältin ursächlich ist, kann leider nicht gesagt werden.
Richtigerweise behauptet kein Ombudsanwalt, ihm obliege eine anwaltliche Schweigepflicht gegenüber der Hinweisperson. Die Schweigepflicht resultiert aus dem Anwaltsvertrag mit dem Auftraggeber, der wiederum auf sein Auskunftsrecht hinsichtlich der Daten zur Person von Hinweisgebern verzichtet.
Die Beauftragung eines Ombudsanwalts ist Teil moderner Criminal Compliance, zielt auf Prävention, Identifikation und Sanktion von schwerwiegenden Rechtsverstößen aus der auftraggebenden Organisation oder gegen sie. Der Ombudsanwalt nimmt nicht nur als Empfangsbote Hinweise entgegen und leitet sie als Bote weiter. Er ist auf jeder Handlungsebene rechtlich bewertend und entscheidend tätig. Er nimmt nur Hinweise entgegen, die die datenschutzrechtliche Erheblichkeitsgrenze (§ 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG) überschreiten. Er nimmt eine Eingangsprüfung am Maßstab des § 152 Abs. 2 StPO vor und übermittelt einen Hinweis mit einem Legal Statement zur rechtlichen Einordnung, Bewertung des Verdachtsgrads und einer Handlungsempfehlung an den Auftraggeber.
Die Handlungsempfehlung ist ein Kernbereich anwaltlicher Beratung. Sie zeigt rechtliche Risiken auf, ist fast immer auch Vorfeldverteidigungsberatung. Das gilt insbesondere auch im Fall des LG Bochum, wo es um Straftaten auf Leitungsebene ging, die über § 30 OWiG auch ein spezifisches Risiko für das Unternehmen bedeuten mussten.
Rechtliche Begründung der Kritik
Die Entscheidung verdient aus einer Mehrzahl von Gründen eine kritische Würdigung. Zum einen geht die einschränkende Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO fehl, weil sie den Schutzzweck der Norm konterkariert, nämlich eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 3b StPO zu verhindern. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine Ombudsperson per se nicht anwaltlich tätig werde (eben weil etwa die Prüfung eines Anfangsverdachts sowie die rechtliche Einordnung eingehender Hinweise genuin juristische Aufgaben sind). Zum anderen hätte für das Landgericht Gelegenheit bestanden, sich mit der nicht nur kriminologisch festgestellten Vorteilhaftigkeit etwa solcher Hinweisgebersysteme zu befassen, was schließlich doch in ein direkt aus dem Grundgesetz abzuleitendes Beschlagnahmeverbot hätte münden können, um diese Institutionen zu stärken, nicht zu schwächen. Dass auch das vom Landgericht angenommene Verhältnis zwischen § 97 StPO und § 160a StPO kritikwürdig ist, sei nur am Rande erwähnt.
Es bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung diese fehlerhaften Argumentationsstränge in künftigen Entscheidungen wieder korrigiert.
notiert von Frank, Vogel
11/2016