Gewalt gegen Ärzte und Ärztinnen, Pflegekräfte und Rettungskräfte
Kommunikation, Deeskalation, Hausverbot, Strafanzeige
Übergriffe auf im Gesundheitswesen Tätige nehmen zu: in Rettungsstellen und in Krankenhäusern, auf Rettungswagenbesatzungen, Krankenschwestern und Krankenpfleger, auf Ärztinnen und Ärzte. Strategien dagegen gibt es viele, angefangen von Deeskalationstrainings über bessere Sicherheitsmaßnahmen in den Gesundheitseinrichtungen bis hin: zum Strafrecht. Wie man der Situation (hoffentlich) Herr werden kann.
Die Fakten
Es ist nicht nur eine gefühlte Realität, dass die Gewalt gegen Helferinnen und Helfer zunimmt. Im Deutschen Ärzteblatt heißt es für Baden-Württemberg, Übergriffe auf Ärzte und Pflegekräfte haben nach Angaben des dortigen Landeskriminalamtes über die letzten Jahre zugenommen: Waren es 2021 noch 89 gemeldete Fälle von Körperverletzungen und tätlichen Angriffen in Krankenhäusern, stieg die Zahl auf 115 im Jahr 2022 und 126 im Jahr 2023. Der deutlich größere Anteil der Angriffe richtete sich gegen Pflegekräfte, der kleinere gegen Ärztinnen und Ärzte. Ebenso für Hamburg, Bremen und Niedersachsen, heißt es im DÄBl., steige die Zahl der Übergriffe, wie die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft mitgeteilt hat. Die Gewalt gehe von Patientinnen und Patienten sowie auch von den Angehörigen aus; Auslöser seien häufig als zu lang empfundene Wartezeiten, wobei es sich nicht selten um Patienten handele, die mit Bagatellverletzungen in den Notaufnahmen auftauchten. Diese Liste ließe sich fortsetzen: Meldungen über Übergriffe auf Ärztinnen und Ärzte gibt es aus Thüringen, weil Patienten fordernder würden und u. a. mit Beschimpfungen darauf reagierten, dass medizinisch nicht indizierte Behandlungen abgelehnt würden, ferner aus Hessen und Westfalen-Lippe. Und hier habe ich aufgehört zu suchen; Meldungen über Angriffe auf Rettungswagenbesatzungen, Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte sind leider Legion.
Und das Dunkelfeld ist sicher noch größer. Auch wir bei FS-PP Berlin raten nicht in jedem Fall zu einer Strafanzeige (siehe unten).
Die Lösungsstrategien
Wiewohl es in einer zivilisierten Gesellschaft und im dritten Jahrtausend eigentlich selbstverständlich sein sollte, dass Gewalt keine Lösung ist und dass Gewalt gegen Menschen, die nur helfen wollen, mehr als nur an Dummheit grenzt, müssen Abwehrstrategien gegen verbale wie physische Übergriffe her.
Eine Abwehrstrategie ist „schlicht“: Kommunikation – „schlicht“, in Anführungszeichen, deshalb, weil zum Ersten Kommunikation nur peu à peu Einzug hält auch in Ausbildung und Studium, weil Kommunikation zum Zweiten gerade in Ausnahmesituationen schwierig ist, und weil zum Dritten lange Gespräche mit Patienten und Angehörigen zeitlich nicht immer möglich sind, wenn man allen Patienten und Patientinnen gleichermaßen gerecht werden will (und den sonstigen Obliegenheiten wie Dokumentationspflichten etc. auch). Gleichwohl kann Kommunikation, so schwierig sie auch mit manchen Angehörigen oder Patienten und so redundant sie manchmal sein mag, möglichem Ärger vorbeugen. Angehörige, die Angst haben um ihre Liebsten, sowie Patienten selbst fühlen sich unverstanden, wenn ihnen niemand (für sie verständlich) erklärt, warum man aktuell abwartet, warum man noch auf eine CT verzichtet, warum eine stationäre Aufnahme aktuell nicht sinnvoll oder einzig richtig ist, warum man woanders besser aufgehoben ist oder warum eine von Patienten- oder Angehörigenseite ins Spiel gebrachte Behandlung hier nicht indiziert ist. Nicht selten resultiert verbale wie physische oder psychische Gewalt aus einem Gefühl der Ohnmacht, des Sich-unverstanden-Fühlens, des Sich-nicht-ernst-genommen-Fühlens oder des Gefühls, dass einfach niemand Zeit hat und sich niemand wirklich kümmert. Objektiv ist das meist anders – es kommt aber wesentlich darauf an, was der Empfänger einer (Nicht-)Information denkt und fühlt, und das kann beeinflussen, wer die Kommunikationshoheit übernimmt. Aus Erfahrung wissen wir: Nicht wenige Strafanzeigen, die Patienten oder Angehörige gegen Ärzte erstatten, resultieren aus Kommunikationsdefiziten. Und auch Gewalt gegen Ärztinnen und Pflegekräfte kann daraus resultieren.
Nicht immer freilich hilft eine proaktive Kommunikation. Manche Patientinnen und Patienten werden aggressiv, weil sie alkoholisiert sind, weil sie schnell reizbar oder cholerisch sind, weil sie nicht den Ansatz von Verständnis für die Ärzte-, Rettungskräfte- oder Pflegeseite aufzubringen vermögen, oder aus sonstigen Gründen. In solchen Fällen können Deeskalationstrainings helfen, wie sie etwa Peter Bobbert vom Ärzteverband Marburger Bund fordert.
Ebenso können verbesserte Sicherheitsmaßnahmen in Krankenhäusern helfen. Und Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte sollten es nicht als Versagen begreifen, wenn ihre Kommunikationsbemühungen nicht fruchten und sie den Sicherheitsdienst holen müssen – manche Menschen sind unbelehrbar, und der Schutz der eigenen Person und der übrigen Patienten geht vor.
Lassen sich aggressive Patienten oder Angehörige nicht kommunikativ einfangen, sollte über ihre Entfernung aus der Einrichtung nachgedacht werden. Bei Patienten stellt sich immer die Frage, ob eine Weiterbehandlung noch nötig und möglich ist oder ob nicht allen besser damit gedient wäre, dass die Behandlung abgebrochen wird. Das ist freilich immer eine diffizile Abwägung im Einzelfall. Und bei Angehörigen ist die Erteilung und Durchsetzung eines Hausverbotes u. U. das Mittel der Wahl, um die Störung schnellstmöglich zu beenden.
Im Nachhinein, ist etwas Gravierendes geschehen, steht die Entscheidung, ob eine Strafanzeige möglich und sinnvoll ist. Möglich ist sie dann, wenn eine Straftat begangen worden ist. Kam es zu Beleidigungen, kann ein Strafantrag wegen § 185 StGB gestellt werden. Bei im Nachhinein verbreiteten Unwahrheiten über das Internet können eine üble Nachrede oder eine Verleumdung gegeben sein (§ 186 StGB bzw. § 187 StGB). Bei Drohungen können eine Nötigung oder eine Bedrohung vorliegen (§ 240 StGB, § 241 StGB). Ist jemand tätlich geworden, liegt eine versuchte Körperverletzung oder eine vollendete vor (§ 223 StGB) oder womöglich eine Widerstandshandlung gegen Rettungsdienstmitarbeiter (§ 115 StGB). Und eine Verletzung des Hausrechts kann einen Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) begründen. Und wann ist eine Strafanzeige sinnvoll? Sinnvoll kann eine Strafanzeige dann sein, wenn ein Zeichen gesetzt und einer Wiederholung vorgebeugt werden soll. Mitunter führen erst eine Ansage durch die Polizei und ein Strafverfahren dazu, dass sich der Ton mäßigt. Ferner kann eine Strafanzeige auch die Durchsetzung zivilrechtlicher (Unterlassungs-)Ansprüche befördern oder unterstützen. Nicht sinnvoll ist eine Strafanzeige u. U. bei Tätern, die psychische Probleme haben und denen anderweitig geholfen werden müsste. Ferner kann dort, wo keine Wiederholung zu besorgen ist, die Reputation nicht geschädigt wurde und man schlicht keine zusätzlichen Ressourcen verschwenden möchte, von einer Anzeige abgesehen werden.
Wir unterstützen
Strafanzeigen können Geschädigte selbst erstatten oder über die Verantwortlichen von Gesundheitseinrichtungen, etwa über die Rechtsabteilungen, erstatten lassen. Es gibt indes strafrechtliche und strafprozessuale Feinheiten, die eine anwaltliche Begleitung nahelegen. So gibt es bestimmte Delikte, bei denen eine Strafanzeige nicht reicht, sondern es eines Strafantrags bedarf, der bestimmte Anforderungen erfüllen muss. Bei manchen Delikten haben Staatsanwaltschaften die Möglichkeit (und leider auch ab und zu den Reflex), das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu verneinen und das Verfahren auf den Privatklageweg zu verweisen, was dann häufig faktisch das Ende des Strafverfahrens ist. Hier gibt es Möglichkeiten, eine solche staatsanwaltschaftliche Abkürzung abzuwenden. Überhaupt ermöglicht eine anwaltliche Begleitung, über Akteneinsichten Einfluss auf das Strafverfahren zu nehmen – ansonsten erfährt man von dem Ergebnis der Anzeige erst ganz zum Schluss, wenn die Entscheidung schon getroffen ist.
Gewalt gegen im Gesundheitswesen Tätige ist ein No-Go. Und die Gewalt nicht hinzunehmen, sie offensiv anzugehen, ist wichtig, um diesen unheilvollen „Trend“ zu durchbrechen.
Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel