Wo gehobelt wird, kann es zu Strafverfahren kommen. Arbeitsschutzvorschriften müssen eingehalten werden, Technikstandards, Sicherungsmaßnahmen. Ein Unfall auf der Baustelle, ein Todesfall auf dem Betriebsgelände, die Verletzung unbeteiligter Dritter durch eine umstürzende Wand – und Polizei und Staatsanwaltschaft hinterfragen das Geschehene: hinterfragen, ob es Verhaltensregeln gab, ob diese eingehalten, überwacht wurden, wer was wann getan oder nicht getan hat, hinterfragen Verantwortlichkeiten, von der Geschäftsführung bis zur einfachen Arbeiterin. Solche Verfahren müssen verteidigt, und solche Verfahren können verhindert werden.

Fall und Fälle

Am 13. November 2020 stürzte eine Lärmschutzwand auf der A3 um, eine Autofahrerin starb. Seither wurde ermittelt, erst gegen Unbekannt; nunmehr heißt es in der Presse, es hätten Durchsuchungen bei zwei Baufirmen und bei dem Landesbetrieb Straßenbau NRW stattgefunden; es gibt 15 Verdächtige: sieben Mitarbeiter des Landesbetriebs Straßen NRW, zwei Prüfingenieure und sechs Mitarbeiter von Baufirmen, die mit der Befestigung der Betonelemente an der Lärmschutzwand beauftragt gewesen seien.

Unfälle dieser Art sind dramatisch – für die Opfer, die Angehörigen, und wer sich in einen Menschen hineinversetzen mag, dem vorgeworfen wird, für den Tod eines anderen verantwortlich zu sein, stellt fest: auch für diesen Menschen ist das alles ganz schrecklich, auch ohne Strafverfahren.

Unfälle dieser Art sind selten – und doch geschehen sie: weil Menschen Fehler begehen, weil Unglücke auch ohne Fehler entstehen, weil eine Verkettung außergewöhnlicher und unglücklicher Umstände, von Missverständnissen und Augenblicksversagen zu einem Unfall führt, der nicht vorhersehbar war. Oder doch?

Szenarien, denkbare wie schon Wirklichkeit gewordene, gibt es viele: ein Kran kippt um; Arbeiter stürzen in den Tod; ein Azubi begeht ein tödlichen Fehler; ein Bolzen löst sich und trifft eine Arbeiterin; die Schaufel eines Baggers trifft einen Menschen; das Kölner Stadtarchiv stürzt ein.

Unfälle dieser Art gibt es.

Die strafrechtlichen Determinanten

Kommen Menschen zu Schaden, stellen sich im Rahmen der Fahrlässigkeit (fahrlässige Körperverletzung, fahrlässige Tötung) viele Fragen.

Welcher Sorgfaltsstandard galt? Gab es Unfallverhütungsvorschriften, die verletzt worden sind? Gab es unternehmensinterne Regeln, Schulungen, Dokumente? War jeder ordnungsgemäß ausgewählt, eingewiesen, überwacht?

Was führte wozu? Hätte der Schaden verhindert werden können? Mit welcher Wahrscheinlichkeit? Gab es ein eigenverantwortliches Mitverschulden der verletzten Person?

Was konnte man voraussehen? Was hätte man wie vermeiden können? Wer hätte das Geschehen vermeiden können, wer es müssen?

Wer ist verantwortlich? Wer hat was delegiert? Wer hätte sich womit selbst beschäftigen müssen?

Die psychologischen Determinanten

Gerade solche Fälle, die desaströs enden, sind zwangsläufig mit Emotionen behaftet. Emotionen können Entscheidungen, auch juristische, beeinflussen. Hier gilt es ein Korrektiv zu bilden.

Hinzu kommt: Menschen wissen hinterher oft sehr gut Bescheid. Das bringt es mit sich, dass sie im Nachhinein unbewusst strengere Maßstäbe an die Entscheidung anlegen, als sie es ex ante, im Zeitpunkt der Entscheidung, selbst getan hätten. Im Nachhinein ist auch vieles vermeintlich vorhersehbar, woran zuvor aber nie jemand gedacht hatte. Hinterher sind wir alle klüger – das beschreibt den sog. Rückschaufehler, der gerade in Strafverfahren Eingang findet, wie sie hier beschrieben sind, der in Gutachten Eingang findet, wie sie oft zur Grundlage von Beschuldigungen, Anklagen, Verurteilungen gemacht werden. Hier gilt es ein Korrektiv zu bilden.

Die ersten Schritte

Die ersten Schritte werden gegangen, bevor man losläuft: Sie bestehen darin, Trittsicherheit herzustellen. Das meint bestenfalls eine Technik-Compliance, um Risiken zu detektieren, sie zu analysieren und anzugehen, bevor es überhaupt zu einem schadensträchtigen Ereignis kommt.

Ist etwas geschehen, sollte umgehend gehandelt werden. Es bedarf (aus Unternehmenssicht) einer abgestimmten Vorgehensweise: mit Blick auf die verletzte Person oder deren Angehörige, mit Blick auf die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit Blick auf die Arbeitsschutzbehörden und auch die Strafverfolgungsbehörden, mit Blick auf die Presse. Dieses Vorgehen ist individuell verschieden, kann eine interne Untersuchung beinhalten, kann eine kluge Pressearbeit bedingen, kann ein proaktives oder ein abwartendes Verhalten gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft bedeuten. In manchen Fällen kann es gelingen, dass ein gegen Unbekannt geführtes Strafverfahren eingestellt wird, bevor irgendjemand zum oder zur Beschuldigten wird. Jedenfalls kann ein Strafverfahren früh beeinflusst, ein Ergebnis mitgeprägt werden.

Aus Sicht der betroffenen Mitarbeiterin oder des betroffenen Mitarbeiters braucht es umgehende Hilfe: vielleicht psychologischer Art, mit ziemlicher Sicherheit anwaltlich-juristischer Art.

Und wird gegen das Unternehmen (über die §§ 30, 130 OWiG) und/oder die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter (strafrechtlich) ermittelt, bedarf es einer klugen Verteidigung, die das materielle (Fahrlässigkeits-) Recht ebenso beherrscht wie das Verfahrensrecht und die Verfahrenspsychologie. Nur dann ist sichergestellt, dass dem schadensträchtigen Unfall nicht noch ein juristischer Unfall folgt.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel