FAQ Reform Unternehmenssanktionsrecht
Wird es ein echtes Unternehmensstrafrecht geben?
Das Bundesjustizministerium hat, nachdem bereits im August 2019 eine Entwurfsfassung öffentlich geworden war, am 21. April 2020 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vorgelegt. Kern des Gesetzesvorhabens ist ein neues Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetzes – VerSanG). Danach soll das neue Verbandssanktionsrecht nicht als „echtes“ Strafrecht ausgestaltet werden; stattdessen soll es dabei bleiben, dass Kriminalstrafen nur gegen natürliche Personen verhängt werden dürfen. Gegen Unternehmen sollen demgegenüber weiterhin lediglich Geldsanktionen festgesetzt werden können. Darüber hinaus sieht der Referentenentwurf weitere Sanktionsmöglichkeiten wie die Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt, die öffentliche Bekanntmachung einer Verurteilung und in Ausnahmefällen sogar die Auflösung des betroffenen Unternehmens vor. Das Verbandssanktionenrecht soll jedoch insgesamt in größerem Maße an das Strafrecht und insbesondere an das Strafverfahrensrecht angenähert werden. Auf Ordnungswidrigkeiten sollen weiterhin die Vorschriften des OWiG Anwendung finden. Zum (Rechts-)Vergleich: Unternehmen können sich in 21 der 28 europäischen Mitgliedstaaten strafbar machen.
Soll das Verbandssanktionsrecht in einem eigenständigen Gesetz geregelt werden?
Ja, das Justizministerium hat einen Entwurf für ein Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz, VerSanG) veröffentlicht, das neben das Strafgesetzbuch (StGB) und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) treten soll.
Unter welchen Voraussetzungen können Unternehmen sanktioniert werden?
Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Verbandssanktion sollen weiterhin der Systematik der §§ 30, 130 OWiG entsprechen. Das heißt, dass Sanktionen (nur) dann zulässig sein sollen, wenn ein Rechtsverstoß durch eine Leitungsperson des Unternehmens festgestellt wurde. Ein solcher kann entweder darin liegen, dass die Leitungsperson selbst eine Verbandsstraftat begangen hat oder sie durch die Verletzung ihrer Organisations-, Auswahl-, Anleitungs- oder Aufsichtspflichten eine Verbandsstraftat auf nachgeordneter Ebene weder verhindert noch wesentlich erschwert hat.
In welchen Bereichen wird das neue Verbandssanktionsrecht zur Anwendung kommen?
Grundsätzlich soll das Verbandssanktionengesetz auf alle juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, rechtsfähige Personengesellschaften und Vereine Anwendung finden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Nicht erfasst sind mithin etwa nicht wirtschaftliche Vereine oder sonstige Non-Profit-Organisationen. Einen Ausschluss von Verbandssanktionen sieht der Referentenentwurf darüber hinaus in Bezug auf Straftaten vor, die in Vornahme hoheitlichen Handelns begangen wurden. Überall dort, wo Melde-, Informations-, Genehmigungspflichten etc. verletzt werden können, droht auch das Unternehmen in den Fokus der Behörden zu geraten. Es ist daher zu vermuten, dass Unternehmen in stark regulierten Bereichen, wie z. B. Energieunternehmen, Unternehmen des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und im Gesundheitsbereich, vermehrt von Unternehmenssanktionen betroffen sein werden.
Wird sich die Häufigkeit von Verbandssanktionen erhöhen?
Eine solche Tendenz ist zu erwarten. Schon heute greifen Behörden weniger auf die operativ tätigen Mitarbeiter eines Unternehmens zu, die Fehler begehen, sondern versuchen über ein Leitungsversagen eine Unternehmensgeldbuße zu verhängen. Mit dem neuen Verbandssanktionsrecht wird diese Tendenz stark zunehmen, zumal nunmehr das Legalitätsprinzip gilt.
Wie hoch wird der Sanktionsrahmen für Unternehmen sein?
Der Rahmen für Verbandsgeldsanktionen soll erheblich ausgeweitet werden. Während Verbandsgeldbußen nach derzeitiger Rechtslage höchstens 10 Millionen € pro Ordnungswidrigkeit betragen dürfen, soll das Höchstmaß nach dem Referentenentwurf in Zukunft für Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen € bei bis zu 10 % des konzernweiten Jahresumsatzes liegen können. Für alle Unternehmen drohen zudem weitere Rechtsfolgen, wie die Eintragung in ein (neu einzurichtendes) Verbandssanktionenregister, die Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt sowie die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung. Entgegen der im August 2019 publik gewordenen Fassung des Gesetzesentwurfs sieht der aktuelle Referentenentwurf nicht mehr die zwangsweise Auflösung des Unternehmens als mögliche Rechtsfolge vor..
Wie ist die Rechtslage bei nachträglichem "Wegfall" des betroffenen Unternehmens?
Der Referentenentwurf erweitert die aus dem Kartellordnungswidrigkeitenrecht bekannte "Ausfallhaftung" bei nachträglichem (wirtschaftlichen) "Wegfall" des betroffenen Unternehmens auf alle Fälle von Verbandsstraftaten. Erlischt der Verband nach der Bekanntgabe der Einleitung des Sanktionsverfahrens oder wird nach diesem Zeitpunkt Vermögen verschoben mit der Folge, dass gegenden Verband oder seinen Rechtsnachfolger eine angemessene Verbandsgeldsanktionnach nicht verhängt oder voraussichtlich nicht vollständig vollstreckt werden kann, so kann nach dem Entwurf ein Haftungsbetrag in Höhe der Verbandsgeldsanktion festgesetzt werden gegen Verbände, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einleitung des Sanktionsverfahrens mit dem betroffenen Verband eine wirtschaftliche Einheit gebildet und auf den betroffenen Verband oder seinen Rechtsnachfolger unmittelbar oder mittelbar einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben (Konzernhaftung), oder wesentliche Wirtschaftsgüter des betroffenen Verbandes übernommen und dessen Tätigkeit im Wesentlichen fortgesetzt haben (Haftung bei Einzelrechtsnachfolge).
Werden Maßnahmen der Vermögensabschöpfung häufiger Anwendung finden?
Ja. Vorläufige Maßnahmen sollen, endgültige Abschöpfungsmaßnahmen müssen ergriffen werden. Dass über die verhängte Geldsanktion hinaus also auch inkriminierte Gewinne abgeschöpft werden, ist sicher. Zu diesem Zweck soll § 73b StGB erweitert werden, um auch Fälle von Verbandsstraftaten zu erfassen.
Wie kann sich ein Unternehmen vor Verbandssanktionen schützen?
Eine 100-prozentige Sicherheit ist nicht möglich. Wer ein auf das eigene Unternehmen spezifiziertes Compliance-Management-System (CMS) implementiert und lebt, reduziert aber das Risiko unternehmensinterner Regelverstöße. Leitungs-, Koordinations-, Organisations- und Kontrollpflichten, deren Verletzung zu einer Verbandssanktion führen kann, können ausweislich der Entwurfsbegründung insbesondere durch Compliance-Maßnahmen erfüllt werden. Der Referentenentwurf bestimmt ausdrücklich, dass sich "vor der Verbandsstraftat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandsstraftaten" im Falle eines Verstoßes mildernd auf die Art und die Höhe der Verbandssanktion auswirken.
Enthält das neue Verbandssanktionenrecht Regelungen zu Internal Investigations?
Der vom BMJV vorgelegte Referentenentwurf enthält auch Regelungen in Bezug auf unternehmensinterne Untersuchungen. Diese können sowohl durch den Verband selbst als auchsowohl durch den Verband selbst als auchdurch von ihm beauftragte Dritte durchgeführt werden. Der Entwurf sieht vor, dass das Gericht eine Verbandssanktion mildern kann, wenn das betroffene Unternehmen eine interne Untersuchung veranlasst hat, die wesentlich zur Aufklärung der Verbandsstraftat beigetragen hat, und weitere, im Einzelnen bezeichnete Voraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen zählen etwa die uneingeschränkte Kooperation mit den Ermittlungsbehörden und die Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens insbesondere gegenüber befragten Mitarbeitern.
Sind anwaltliche Unterlagen, die z. B. im Rahmen von Internal Investigations angefertigt werden, vor Beschlagnahme geschützt?
Das neue Unternehmenssanktionsrecht soll auch Regelungen zur Zulässigkeit der Beschlagnahme von Beweismitteln enthalten, die im Rahmen von internen Untersuchungen (Internal Investigations) entstanden sind. Diese Frage wurde in den letzten Jahren kontrovers diskutiert und hat auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen VW / Jones Day keine abschließende Klärung erfahren. Der Referentenentwurf sieht vor, dass das neue Recht solche Unterlagen und elektronischen Daten, die im Rahmen der Verteidigung des Unternehmens oder deren konkreter Vorbereitung entstanden sind, von der Beschlagnahme ausnimmt. Demgegenüber sollen Dokumente, die nicht im Verteidigungsverhältnis entstanden sind, unbeschränkt beschlagnahmefähig sein. Dies wird vor allem Unterlagen aus unternehmensinternen Untersuchungen betreffen, soweit die Untersuchung nicht im Zusammenhang mit und (auch) zum Zweck der Verteidigung in einem Verfahren gegen das Unternehmen durchgeführt wird. Jedoch gibt es Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken und faktisch doch einen Schutz der Unterlagen zu erreichen.
Wie wird das Verfahren gegen Unternehmen ausgestaltet sein?
Verfahren wegen Verbandsstraftaten sollen in größerem Umfang den Regelungen der Strafprozessordnung (StPO) angenähert werden. So ist beispielsweise geplant, eine gesetzliche Pflicht für die Ermittlungsbehörden zu statuieren, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen einzuleiten (sog. Legalitätsprinzip). Anders als nach der derzeitigen Rechtslage soll es nicht mehr im Ermessen der Behörden stehen, ob sie Ermittlungen gegen Unternehmen aufnehmen. Ein solcher Ermittlungszwang soll allerdings nicht ausnahmslos gelten. Beabsichtigt ist, die Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen nach den §§ 153 ff. StPO in das neue Recht zu übernehmen. Damit wird es künftig in das Ermessen von Ermittlungsbehörde und/oder Gericht gestellt, von einer Verfolgung etwa in Bagatellfällen oder unter Erteilung einer Geldauflage abzusehen. Darüber hinaus soll ein dem Strafbefehlsverfahren der StPO ähnliches Verfahren gegen Unternehmen geschaffen werden. Schließlich soll Gerichten auch die Möglichkeit gegeben werden, eine Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt in Fällen geringfügiger Verstöße auszusprechen.
Welches Gericht wird sachlich für Verfahren gegen Unternehmen zuständig sein?
Anders als nach derzeitiger Rechtslage soll nicht mehr ausschließlich das Amtsgericht für das gerichtliche Verfahren betreffend die Verhängung von Unternehmenssanktionen zuständig sein. Stattdessen sieht der Referentenentwurf eine gestufte Zuständigkeitsverteilung zwischen Amtsgericht und Landgericht vor, wobei eine Zuständigkeit des Strafrichters am Amtsgericht in jedem Fall ausgeschlossen ist. Die Strafkammern beim Landgericht sollen zuständig sein, wenn eine Verbandsgeldsanktion in Höhe von mehr als einer Million Euro zu erwarten ist.
Welche Rechte haben Unternehmen in gegen sie geführten Verfahren?
Der Referentenentwurf weist Unternehmen, die einer Verbandsstraftat beschuldigt werden, eine Verfahrensstellung zu, die der eines Beschuldigten im Strafverfahren ähnlich ist. Das bedeutet insbesondere, dass Unternehmen mit bestimmten Verfahrensrechten ausgestattet werden wie z. B. das Recht auf einen Verteidiger sowie Äußerungs- und Antragsrechte. Den Vertretungsorganen eines betroffenen Unternehmens soll das Recht eingeräumt werden, die Auskunft zu verweigern, sofern sie dadurch das Unternehmen belasten würden.
Wird das neue Recht die Einsetzung eines Monitors ermöglichen?
Der Referentenentwurf sieht nicht vor, den Ermittlungsbehörden oder dem Gericht die Befugnis zu geben, ein Monitorship gegenüber betroffenen Unternehmen anzuordnen, wie dies etwa im US-amerikanischen Recht möglich ist. Gleiches gilt für die Anordnung einer Zwangsverwaltung oder ähnlicher direkter Eingriffe in die Führung des Unternehmens.
Wird es eine „schwarze Liste“ für sanktionierte Unternehmen o.Ä. geben?
Nach dem vom Bundesjustizministerium vorgelegten Referentenentwurf soll sanktionierten Verbänden über eine Eintragung in die bestehenden Register (Korruptionsregister, Wettbewerbsregister, Gewerberegister etc.) hinaus auch die Eintragung in ein neu einzurichtendes "Verbandssanktionenregister" drohen. Des Weiteren sieht der Entwurf die öffentliche Bekanntmachung von Verurteilungen vor, wenn eine große Anzahl von Personen durch die Tat geschädigt wurde.