EU will Plattformarbeit stärker regulieren
Strengere Haftung von Plattformbetreibern geplant
Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits im November 2020 mit dem Eckpunktepapier „Faire Arbeit in der Plattformökonomie“ Vorschläge für eine stärkere arbeits- und sozialrechtliche Absicherung von Solo-Selbständigen, die ihre Dienste über Online-Plattformen anbieten, unterbreitet hat, hat nunmehr die EU-Kommission die Initiative für eine EU-weite Regelung ergriffen und am 9. Dezember 2021 einen Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit veröffentlicht (COM(2021) 762 final).
Die vorgeschlagene Richtlinie zielt im Kern darauf ab, es Solo-Selbständigen zu erleichtern, einen Beschäftigtenstatus gegenüber dem Plattformbetreiber geltend zu machen und dadurch Zugang zu bestehenden Arbeitnehmerrechten und Sozialleistungen, wie Mindestlohn, Tarifverhandlungen, geregelten Arbeitszeiten und Gesundheitsschutz, bezahltem Urlaub und besserem Schutz vor Arbeitsunfällen, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie Altersrenten zu erhalten. Darüber hinaus sollen Plattformbetreibern erhöhte Transparenzpflichten auferlegt werden und es soll die betriebliche Mitbestimmung ermöglicht bzw. gestärkt werden.
Kriterienkatalog zur Statusfeststellung
Der Richtlinienvorschlag enthält einen Kriterienkatalog, anhand dessen der Status des Plattformbetreibers als Arbeitgeber im Verhältnis zu den Plattform-Dienstleistern festgestellt werden soll. Diese sind:
- Festlegung der Höhe der Vergütung bzw. von Obergrenzen der Vergütung;
- Überwachung der Ausführung der Arbeit auf elektronischem Wege;
- Einschränkung der Möglichkeiten, Arbeits- oder Abwesenheitszeiten frei zu wählen, Aufgaben anzunehmen oder abzulehnen oder Unterauftragnehmer oder Ersatzkräfte in Anspruch zu nehmen;
- Festlegung bestimmter verbindlicher Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Empfänger der Dienstleistung bzw. in Bezug auf die Arbeitsleistung;
- Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen.
Erfüllt ein Plattformbetreiber mindestens zwei der fünf Kriterien, soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission gesetzlich vermutet werden, dass die eingesetzten Dienstleister den Status eines Arbeitnehmers haben. Die Betrachtung richtet sich dabei auf den Plattformbetreiber an sich und nicht auf das Verhältnis zu den einzelnen Dienstleistern. Greift die Vermutung, soll es dem Plattformbetreiber indes möglich sein, diese im Einzelfall zu widerlegen.
Mehr Rechtssicherheit?
Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit ist ein Dauerbrenner im deutschen Sozialversicherungsrecht und immer wieder Streitpunkt sowohl in sozialversicherungsrechtlichen, als auch in Strafverfahren. Die vorsätzliche Nichtzahlung geschuldeter Beiträge zur Sozialversicherung ist durch § 266a StGB strafbar bedroht. In Fällen der leichtfertigen Beitragsvorenthaltung greift der Bußgeldtatbestand des § 8 Abs. 3 SchwarzArbG. Daneben kann eine Strafbarkeit wegen Hinterziehung von Lohn- und Umsatzsteuer (§ 370 AO) bzw. eine Bußgeldahndung wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) in Betracht kommen. Wird der in Beschäftigungsverhältnissen zu zahlende Mindestlohn unterschritten, kann auch dies mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 21 MiLoG). Entsprechendes gilt für Verstöße etwa gegen Vorschriften zur Arbeitszeit und zur Arbeitssicherheit. Für betroffene Unternehmen ist es häufig alles andere als leicht und zuweilen kaum möglich, den korrekten Status rechtssicher festzustellen, da Behörden und Gerichte zwar bestimmte Kriterien anwenden, diese jedoch je nach Einzelfall unterschiedlich stark gewichten.
Die geplante Richtlinie sieht nunmehr erstmals eine gesetzliche Fixierung von Bewertungskriterien vor, die den in der deutschen Rechtsprechung herangezogenen Kriterien zwar ähneln, ihnen aber doch nicht vollständig entsprechen. Sie sind zudem nicht auf die spezifische Situation der Plattformarbeit beschränkt, sondern lassen sich dem Grunde nach auf sämtliche Arten von Dienstleistungen übertragen. Es wird deshalb spannend zu sehen, wie die Sozial- und Strafgerichte diese europarechtlichen Vorgaben umsetzt, sollte die Richtlinie wie vorgeschlagen in Kraft treten.
Unternehmen, seien es Plattformbetreiber oder nicht, dürfen wohl nicht darauf hoffen, dass die Richtlinie den grundlegenden Missstand der Unvorhersehbarkeit der Statusbestimmung beseitigen wird. Die im Vorschlag vorgesehene Vermutungsregel („2 von 5 Kriterien“) mag Betroffenen zwar etwas Halt geben. Da die einzelnen Kriterien allerdings ihrerseits – notwendigerweise – wertungsoffen sind (wann wird eine Arbeitsausführung „überwacht“?, wann wird die freie Arbeitszeitwahl „eingeschränkt“?), bieten sie wiederum Raum für eine weitreichende Kasuistik. Für die Bewertung in Straf- und Bußgeldverfahren wegen Beitragsvorenthaltung, Lohnsteuerhinterziehung, Mindestlohnverstößen etc. dürfte die Vermutungsregel ohnehin keine Geltung beanspruchen, weshalb Betroffenen insoweit nicht geholfen wäre.
Zunehmende Regulierung von Plattformökonomie & New Work
Es steht zu erwarten, dass die bezeichneten Gesetzesinitiativen die Frage der sozial- und arbeitsrechtlichen Absicherung von Solo-Selbständigen, Freelancern, Freien Mitarbeitern etc. in der Plattformökonomie zum Gegenstand einer breiteren öffentlichen Debatte machen werden. Die nun zu beobachtenden Regulierungsbestrebungen sowohl auf europäischer, als auch auf nationaler Ebene lassen vermuten, dass die verschiedenen Formen der Plattformarbeit stärker als bisher auch in den Fokus der Sozialversicherungs- und Strafverfolgungsbehörden rücken wird. Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen.