Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich ein Zeuge bei seiner Aussage in Deutschland nach ausländischen Strafgesetzen strafbar macht, steht ihm ein Aussageverweigerungsrecht nicht zu, wenn der Zeuge nicht mehr im Ausland tätig ist.

Der Fall

Im Rahmen eines in Deutschland geführten Strafverfahrens gegen Verantwortliche eines Bankhauses wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall sollte ein Zeuge vernommen werden, der Mitarbeiter einer Bankgesellschaft mit Sitz in Luxemburg war. Der Zeugenbeistand des Zeugen (§ 68 b StPO) sagte den Termin zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung ab, und auf seinen Rat hin verweigerte der Zeuge auch die Beantwortung von durch die Staatsanwaltschaft gestellten schriftlichen Fragen. Der Zeugenbeistand argumentierte, der Zeuge werde keine Angaben zur Sache machen, da ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zustünde; denn der Zeuge sei zum Tatzeitraum Angestellter einer in Luxemburg ansässigen Bankgesellschaft gewesen, und die Preisgabe von während seiner dortigen Tätigkeit gewonnenen Erkenntnisse sei in Luxemburg strafrechtlich sanktioniert.

Die Staatsanwaltschaft drohte für die weitere Verweigerung der Beantwortung der Fragen die Beantragung von Ordnungsmitteln gemäß § 70 StPO an. Der Zeuge und sein Zeugenbeistand führten deswegen eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 161 a Abs. 3 S. 1 StPO herbei, über die das Amtsgericht Köln zu entscheiden hatte.

Nach Auffassung des Amtsgerichts Köln konnte sich der Zeuge jedenfalls im vorliegenden Fall nicht auf sein Auskunftsverweigerungsrecht als Zeuge gemäß § 55 StPO berufen. Ein Aussageverweigerungsrecht komme nur bei einer konkreten Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung im Ausland in Betracht. Zum einen sei diese konkrete Gefahr aber nicht dargetan worden, zum anderen würden durch die Beantwortung der Fragen durch den Zeugen keine schützenswerten Informationen von in Luxemburg betreuten Kunden der Bank preisgegeben. Denn die Fragen hätten sich im Schwerpunkt auf bankinterne Vorgänge mit Bezug zu einem in Deutschland ansässigen und betreuten Kunden bezogen. Daher sei das in Luxemburg gesetzlich abgesicherte geschützte Rechtsgut des Vertrauens der dortigen Bankkunden in die Vertraulichkeit ihrer Kundenbeziehung nicht tangiert. Auch das Argument, der Zeuge könne in Zukunft trotz seiner beruflichen Tätigkeit in Deutschland wieder in der Luxemburger Niederlassung tätig werden, sei im Hinblick auf eine effektive Strafverfolgung nicht geeignet, ein überwiegendes Interesse des Zeugen zu begründen. Der Zeuge sei insofern in Luxemburg lediglich projektbezogen tätig geworden, dies sei derzeit aber nicht der Fall.

 Schlussfolgerung für die Praxis

Die deutsche Regelung des § 55 StPO dient dem Schutz von Zeugen, da dieser sich nicht in eine innere Zwangslage zwischen der Gefahr der eigenen Verfolgung und seiner Wahrheitspflicht begeben soll.

Das Amtsgericht Köln hat dies nun anders gesehen. Es ist aber zweifelhaft, ob dessen Entscheidung verallgemeinert werden kann. Denn im vorliegenden Fall war das Gericht der Ansicht, dass eine – jedenfalls grundsätzlich beachtliche – konkrete Gefahr einer ausländischen strafrechtlichen Verfolgung nicht genug dargetan worden sei. Festzuhalten ist aber, dass der Zeuge die Auskunft jedenfalls auf einzelne Fragen verweigern darf. Daraus ist zu folgern, dass das Aussageverweigerungsrecht einen thematischen Bezug haben muss und nicht einfach pauschal bzw. generell die Auskunft verweigert werden darf. Vor diesem Hintergrund hätte sich dem Zeugen möglicherweise die Option geboten, wenigstens allgemeine Angaben in Bezug auf den schriftlichen Fragebogen der Staatsanwaltschaft zu geben. Einzelne konkrete Fragen hätten durch den Zeugen dann unter u.U. unter Hinweis auf die „Mosaiksteintheorie“ des BGH verweigert werden können.

Überzeugend ist allerdings auch die Ansicht des Amtsgerichts Köln nicht, wenn darauf abgestellt wird, der Zeuge sei „derzeit“ nicht mehr in Luxemburg tätig und er somit gegen dortige Vorschriften verstoßen könne. Das aber kann offensichtlich nicht die Gefahr einer Verfolgung im Ausland ausschließen, denn dies dürfte dem Gesetzeszweck des § 55 StPO zuwider laufen. Es erscheint nicht sachgerecht, dass das Amtsgericht Köln den Zeugen einer Strafverfolgung in Luxemburg aussetzen möchte, und sich dieser später dann u.U. entscheidet, beruflich doch wieder nach Luxemburg zurückzukehren.

„Gefährdete“ Zeugen, denen unter Umständen ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen könnte, sind gut beraten, rechtzeitig vor ihrer Zeugenvernehmung einen versierten und erfahrenen Strafverteidiger als Zeugenbeistand (§ 68 b StPO) zu Rate zu ziehen. Diesem wird insbesondere die Aufgabe obliegen, eine auch im Ausland drohende konkrete Verfolgungsgefahr darzulegen, so dass das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO durch die Strafverfolgungsbehörden angenommen wird. Sollte der Zeuge zu einer Vernehmung vor Gericht geladen sein, ist generell die Begleitung durch einen Zeugenbeistand empfehlenswert.

Quelle: BeckRS 2013, 11503

Notiert von Horrer 08/2013

Grundsätzlich steht nach teilweise vertretener, jedoch umstrittener Auffassung dem Zeugen in einem deutschen Strafverfahren ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zu, wenn von dem Zeugen eine Aussage verlangt wird, deren Inhalt nach dem Recht eines anderen Staates strafbar ist, er sich durch die Beantwortung der Fragen nach ausländischem Recht also der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde (z.B. wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht usw.).