Zur Milderung der Folgen der Corona-Krise hat der Gesetzgeber die strafbewehrte Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages wegen Zahlungsunfähigkeit gemäß § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB zunächst bis zum 30. September 2020 eingeschränkt. Darüber hinaus besteht per Verordnungsermächtigung für das Bundesjustizministerium die Möglichkeit, diese Maßnahme bis höchstens zum 31. März 2021 zu verlängern.

Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Sicht resultieren daraus erhebliche Risiken für Verantwortliche in Unternehmen, weil der falsche Eindruck entstehen könnte, das Handeln in der Corona-Krise sei insgesamt von strafrechtlichen Risiken befreit. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Regelung des § 1 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (CovInsAG) vom 27. März 2020 bestimmt:

„Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.“

Corona-Krise – Krise bleibt Krise 

Der etwas missverständliche Gesetzesname sollte nicht zum Glauben verleiten, dass derzeit kein Insolvenzantrag zu stellen sei. Der Gesetzeswortlaut gibt vor, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nur entfällt, wenn Aussicht auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit besteht und die Zahlungsunfähigkeit auf den Folgen der Corona-Krise beruht (wobei hierfür eine großzügige gesetzliche Vermutung gilt). Treffen diese Voraussetzungen nicht zu, so gilt weiterhin die strafbewehrte Insolvenzantragspflicht. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist also sorgfältig zu prüfen, um Strafbarkeitsrisiken zu Vermeiden.

Ob nun die strafbewehrte Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages gilt oder nicht, eine Krise bleibt im wirtschaftsstrafrechtlichen Sinne eine Krise, auch wenn es sich um eine Corona-Krise handelt. Das bedeutet, dass Unternehmer und Geschäftsleiter alle sonstigen Pflichten, die sie in einer Krise treffen, bei Vermeidung strafrechtlicher Risiken zu erfüllen haben.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

Insolvenzstraftaten, §§ 283 ff. StGB

Im 24. Abschnitt des StGB sind die so genannten Insolvenzstraftaten geregelt. Das sind Bankrott gemäß § 283 StGB, Verletzung der Buchführungspflicht gemäß § 283 b StGB sowie Gläubiger- und Schuldnerbegünstigung gemäß §§ 283 c und d StGB. Den Tatbeständen ist gemeinsam, dass eine Verfolgung nur stattfindet, „wenn der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist“ (§ 283 Abs. 6 StGB).

Wenn diese objektive Bedingung der Strafbarkeit eintritt, dann werden Handlungen strafbar, die zum Zeitpunkt des Eintritts der objektiven Bedingung der Strafbarkeit in der Vergangenheit liegen. Wer also als Kaufmann jetzt seine Buchführungs- und Handelsabschlusspflichten verletzt, wird eine bittere Quittung vom Strafrichter erhalten, wenn sein Unternehmen die Corona-Krise am Ende nicht übersteht. Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Sicht gilt hier wie sonst: Krise ist Krise und erfordert vom Kaufmann erhöhte Sorgfalt. Strafrechtlicher Wahnsinn wäre also eine Haltung wie: „was schert mich jetzt die Buchführung, Hauptsache ich überstehe die Krise“.

Ebenso ist eine Haltung verfehlt, die davon ausgeht, dass derzeit keine seriöse Unternehmensplanung erfolgen kann und sie deshalb unterbleibt. Die bestehende Unternehmensplanung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Krise anzupassen. Nur weil die Folgen der Krise derzeit schwer abzuschätzen sind, befreit dies die Geschäftsleitung nicht davon, nach bestem Wissen die Planung kontinuierlich anzupassen. Im Zweifel in Form von Worst- und Best-Case-Szenarien. Dabei kann sich durchaus auf die Vorhersagen der Bundesregierung, des Robert-Koch-Instituts oder der führenden Wirtschaftsinstitute zur Entwicklung der Krise selbst und der wirtschaftlichen Folgen gestützt werden. Sofern sich bei einem am Kapitalmarkt gelisteten Unternehmen eine vorherige Veröffentlichung überholt hat, so ist dies durch eine Ad-hoc-Mitteilung zu berichtigen. Ein Verstoß hiergegen stellt zwar „nur“ eine Ordnungswidrigkeit dar, diese kann aber zu empfindlichen Bußgeldern führen.

Betrug durch Vorspiegeln der Leistungsfähigkeit, § 263 StGB

Bei „normaler“ Rechtslage sind die Dinge ganz einfach: Wer seine Insolvenzantragsstellungspflicht vorsätzlich verletzt, begeht bei Vertragsabschlüssen regelmäßig einen Betrug; denn er täuscht mindestens bedingt vorsätzlich darüber, dass seine Erfüllungsfähigkeit zweifelhaft ist. Wenn die strafbewehrte Insolvenzantragsstellungspflicht ausgesetzt ist, gilt doch weiter der Betrugstatbestand, nur ist bei seiner Erfüllung etwas sorgfältiger zu argumentieren. Wer aber einen schweren wirtschaftlichen Einbruch angesichts der Corona-Krise erleidet, der wird – Überbrückungsdarlehen und Helikoptergeld her – gefährlich nah einer bedingt vorsätzlichen Täuschung über die eigene Leistungsfähigkeit sein.

Untreue durch Zugriff auf das anvertraute Vermögen, § 266 StGB

GmbH-Geschäftsführer, die zugleich Gesellschafter sind, werden in der Krise sehr genau überlegen, welche Chancen sie dem Fortbestand ihres Unternehmens einräumen. Wer eine negative Prognose sieht, mag in der Versuchung sein, noch vorhandenes Kapital herauszunehmen, um es nicht in der Krise zu verlieren. Das begründet gerade für den Gesellschafter-Geschäftsführer das Risiko, eine Untreue zum Nachteil des Vermögens der Gesellschaft zu begehen. Entscheidungen müssten hier sorgfältig abgewogen und auch das strafrechtliche Risiko in Betracht gezogen werden.

Krisenbedingte Nichtzahlung der Sozialbeiträge, § 266a StGB

Die Krise mag dazu führen, dass sich die Prioritäten der Geschäftsleitung verschieben. Folge dessen darf dennoch nicht sein, seinen Pflichten zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht nachzukommen. Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialbeiträgen bleiben nach wie vor strafbar, sofern Mittel vorhanden sind. Es ist derzeit auch noch nicht absehbar, ob der Bundesgerichtshof in Anbetracht der Corona-Krise von seiner Vorrangrechtsprechung abrücken wird. Ein Geschäftsleiter sollte daher weiterhin davon ausgehen, dass Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Vorrang vor anderen Forderungen haben, um sich keinen Strafbarkeitsrisiken auszusetzen.

Fazit: Die Corona-Krise erweist sich für Unternehmen als eine wirtschaftliche Krise, wie sie im Wirtschaftsstrafrecht vielfach beschrieben ist. Rechtspflichten wurden vom Gesetzgeber in wesentlich geringerem Maße ausgesetzt, als dies bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein haben mag. Es verbleiben doch erhebliche strafrechtliche Risiken, die bedacht sein wollen. Denn was auch immer der Grund einer Krise ist, vom Kaufmann und Geschäftsleiter verlangt sie ein besonders Maß an Sorgfalt.

Notiert von Frank/ Siemes
04/2020