Betreiber des ARTEMIS aus Untersuchungshaft entlassen
Klarstellungen zur sozialversicherungsrechtlichen und steuerlichen Behandlung von Bordellen und bordellartigen Betrieben
Nach rund vier Monaten Untersuchungshaft sind die Betreiber der Artemis GmbH wieder in Freiheit. Die Verantwortlichen des FKK-Clubs in Berlin-Halensee waren am 14. April dieses Jahres im Rahmen einer groß angelegten Razzia, an der über 900 Beamte der Polizei, des Zollfahndungsamts und der Staatsanwaltschaft beteiligt waren, verhaftet worden.
Vorwürfe aus dem Wirtschaftsstrafrecht und dem Steuerstrafrecht
Die rechtlichen Vorwürfe gegen die Betreiber in den jeweiligen Haftbefehlen lauteten im Kern auf Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a Strafgesetzbuch/StGB) und Steuerhinterziehung (§370 Abgabenordnung/AO). Die im Artemis tätigen Prostituierten seien in Wirklichkeit scheinselbständig gewesen und damit sozialversicherungs- und steuerrechtlich wie Angestellte zu behandeln gewesen, so der Vorwurf.
Bereits das Landgericht Berlin hatte in seinen vorausgegangenen Beschlüssen festgestellt, dass es entgegen den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft keinen begründeten Verdacht für eine Geschäftsverbindung der Artemis-Betreiber mit den Hells Angels gibt. Auch den Vorwurf des Menschenhandels, der Zuhälterei und der Ausbeutung von Prostituierten sah das Gericht nicht belegt.
Das dem Landgericht übergeordnete Kammergericht geht in seinem Beschluss vom 29.07.2016 zur Aufhebung der Untersuchungshaft deutlich darüber hinaus: Die Richter sehen auch für den Tatbestand der Steuerhinterziehung und des Vorenthaltens von Sozialabgaben in zweistelliger Millionenhöhe keinen dringenden Tatverdacht. Vor diesem Hintergrund hat das Kammergericht die Haftbefehle gänzlich aufgehoben.
Politischer Testlauf vor neuem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG)?
„Bei anderen Betrieben hätte nicht gleich der bewaffnete Arm des Staates zugeschlagen“, sagt Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wehner, Verteidiger eines Artemis-Betreibers. „Man könnte meinen, dass auch politische Ziele hinter dem brachialen Vorgehen gegen das Artemis stehen. Das Kammergericht hat nun mehr als deutlich gemacht, dass ein solches Vorgehen gegen einen Bordell-Musterbetrieb wie das Artemis falsch ist. Das Artemis ist Vorreiter auf dem Gebiet der Bordell-Compliance. Ob die Justiz für eine derartige Fehlentscheidung zur Verantwortung gezogen werden kann, wird noch zu prüfen sein. Mein Mandant hingegen hat dafür bereits jetzt mit mehr als vier Monaten seiner Lebenszeit gehaftet.“
Wesentliche Merkmale selbständiger Prostitutionsausübung erfüllt
Tatsächlich erfüllen die im Artemis tätigen Prostituierten die wesentlichen Merkmale der Selbständigkeit: Sie tragen das unternehmerische Risiko ihrer Arbeit allein, so wie sie allein von ihrer erfolgreichen Tätigkeit profitieren. Die Betreiber erhalten von ihnen lediglich dasselbe Eintrittsgeld wie es auch die übrigen Kunden zahlen. Darüber hinaus sind sie wie alle Selbständigen frei darin, ihre Arbeitszeit zu bestimmen und sie sind auch frei darin, wann und ob sie mit Kunden welche Dienstleistungen vereinbaren.
Entsprechend deutlich kommt das Kammergericht zu der Erkenntnis: „Nach dem sich aus den bisherigen Ermittlungen nach Aktenlage ergebenden Sachverhalt zweifelt der Senat bereits an der – von der Staatsanwaltschaft und den Vorinstanzen der Haftanordnung zugrunde gelegten – Arbeitnehmerstellung der im ,Artemis’ ihre sexuellen Dienste anbietenden Prostituierten und der – eine Strafbarkeit nach § 266a StGB und wegen der Hinterziehung von Lohnsteuern potentiell begründenden – Arbeitgeberstellung der ,Artemis GmbH’ bzw. ihrer Geschäftsführer.“
notiert von Wehner
08/2016