Im Dezember 2018 hat das LAG Baden-Württemberg zum Nachteil von internen Hinweisgebenden entschieden, dass ein Arbeitnehmer Anspruch auf Einsicht in ihn betreffende Akten über interne Untersuchungen hat – auch wenn dadurch die Identität des Hinweisgebenden offenbart wird.

Das Urteil bedeutet nicht zwingend einen geringeren Schutz von Whistleblowern. Die Anonymität von Hinweisgebenden kann insbesondere sichergestellt werden, indem interne Untersuchungen über externe Anwälte als Ombudspersonen durchgeführt werden. Statt als Rückschlag sollte das Urteil als Versuch gesehen werden, Wege zu einem effektiven Schutz von Hinweisgebern aufzuzeigen.

Was der Arbeitnehmer wollte

Ein Arbeitnehmer hatte gegenüber seiner Arbeitgeberin, Daimler, einen Anspruch auf Einsicht in eine Business Practices Office-Akte (BPO-Akte) geltend gemacht. Diese BPO-Akte behandelte einen Vorgang, der dem Kläger infolge eines internen Hinweises eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten vorwarf. Als Rechtsgrundlage des Anspruches berief sich der Kläger auf § 83 Abs. 1 BetrVG, also einen Anspruch auf Einsicht in die Personalakte. Er begehrte auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO außerdem Auskunft über zu seiner Person gespeicherte Leistungs- und Verhaltensdaten, soweit diese sich nicht aus der Personalakte ergäben.

Was das Gericht zu Hinweisgebersystemen entschied

Das LAG verurteilt die beklagte Arbeitgeberin unter anderem dazu, die Einsichtnahme in die BPO-Akte zu gewähren und dem Kläger Auskunft über die von der Arbeitgeberin verarbeiteten und nicht in der Personalakte gespeicherten, personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten zu erteilen.

Bei dem Anspruch nach § 83 Abs. 1 BetrVG interpretiert das LAG den Begriff der Personalakte sehr weit (Rn. 158, hier und im Folgenden zit. nach beck-online). Irrelevant soll sein, ob der Arbeitgeber die Unterlagensammlung als Personalakte bezeichnet oder nicht, sodass das Gericht auch die BPO-Akte als Personalakte im Sinne des § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG qualifiziert (Rn. 159).

Nach Ansicht des LAG kann das gesetzlich nicht eingeschränkte Einsichtsrecht nach § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG auch gerade nicht mit der Begründung verweigert werden, Mitarbeiter, die eine interne Untersuchung durch ihren Hinweis ausgelöst haben, müssten geschützt werden (Rn. 161, 163). Trotz zugesicherter Anonymität dürfe der Arbeitgeber nicht gegen das Verbot des Führens von Geheimakten im Rahmen der Personalakte verstoßen (Rn. 163).

Nachdem das LAG diese Zwickmühle benannt hat, widmet es sich einem denkbaren Ausweg aus der Pflichtenkollision: Um beiden Pflichten nachzukommen, dürfe der Arbeitgeber Informationen, die Rückschlüsse auf die Person des Hinweisgebers erlauben, gar nicht erst zur Akte nehmen. Oder aber er müsse diese Teile der Akte schwärzen oder durch sonstige Vorkehrungen unkenntlich machen (Rn. 163). Sei die Anonymisierung erst unterlassen worden, könne der Arbeitgeber die Einsichtnahme des Arbeitnehmers nicht insgesamt mit Hinweis auf Geheimhaltungsgesichtspunkte verweigern.

Eine ähnliche Linie behält das Gericht auch im Rahmen des Anspruchs auf Erteilung der geltend gemachten Auskünfte über Leistungs- und Verhaltensdaten gemäß Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO bei. Eine Beschränkung des Anspruchs auf Auskunft und Erhalt einer Kopie ist hier zwar wegen entgegenstehender berechtigter Interessen Dritter über § 34 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG und Art. 15 Abs. 4 DSGVO gesetzlich möglich (Rn. 178-180). Das LAG fordert aber ein überwiegendes Interesse des Dritten an Geheimhaltung nach konkreter Abwägung im Einzelfall und dafür auch einen konkreten Vortrag. Ein automatisches Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses lehnt das Gericht ab, obwohl es die Zusicherung von Anonymität zum Zwecke der Aufklärung innerbetrieblichen Fehlverhaltes grundsätzlich als berechtigtes Interesse anerkennt und sogar die höhere Effektivität von anonymen Melde-verfahren gerade innerhalb hierarchischer Strukturen betont (Rn. 181).

Im Ergebnis entscheidet das LAG zugunsten des Auskunftsinteresses des Klägers. Es begründet diese Entscheidung insbesondere mit dem fehlenden Vortrag der Beklagten, der eine Einzelfallabwägung unmöglich gemacht habe. Der allgemeine Hinweis auf die Relevanz eines bedingungslosen Schutzes der Anonymität hinweisgebender Mitarbeiter und das Risiko ausbleibender Hinweise ohne eine solche zugesicherte Anonymität sah das LAG nicht als ausreichend an (Rn. 182).

Warum das Urteil kein Risiko für den Schutz von Whistleblowern bedeuten muss

Richtig ist, dass das Urteil des LAG insoweit ein Risiko für den Schutz von Whistleblowern darstellt, als der Schutz von Hinweis-gebenden nicht selbstverständlich gegenüber Auskunftsrechten priorisiert wird. Eine sachgerechte Abwägung von Interessen ist aber kein Rückschlag für den Schutz von Hinweisgebenden, sondern ermöglicht eine umfassendere Akzeptanz von Hinweisgeber-Systemen.

Das Urteil des LAG zeigt deutlich, dass die Ansprüche aus BetrVG DSGVO zu einer Preisgabe der Identität von Hinweisgebenden führen können. Allerdings gibt das Gericht auch eine Hilfestellung, wie solche Situationen vermieden werden können.

Im Rahmen des Anspruchs aus § 83 Abs. 1 BetrVG, der grundsätzlich uneingeschränkt besteht, können Vorsichtsmaßnahmen im Vorhinein getroffen werden, indem Hinweisgebende in der Akte unmittelbar anonymisiert werden oder aber deren Mitteilungen gar nicht erst zur Akte gelangen. Letzteres kann besonders effektiv durch Hinweisgebersysteme erreicht werden, die aus dem Unternehmen ausgelagert werden, etwa in Form einer externen Ombudsperson. Durch die Bearbeitung der Hinweise an externer Stelle kann bei Weiterleitung an die interne Compliance-Abteilung des Unternehmens die Anonymität gesichert werden. Eine externe Bearbeitung gewährleistet zusätzlich, dass Hinweise, die unrichtige Informationen enthalten, nicht immer sofort an das Unternehmen weitergeleitet werden, sondern in einigen Fällen vorgeprüft werden können, sodass innerbetriebliche negative Auswirkungen für durch den Hinweis Betroffene reduziert werden können.

Der Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO erlaubt grundsätzlich einen höheren Schutz für Hinweisgebende, da eine Einschränkung des Anspruchs über die Öffnungsklausel des Art. 23 Abs. 1 lit. I DSGVO nach § 34 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG und Art. 15 Abs. 4 DSGVO gesetzlich vorgesehen ist. Der genaue Anspruchsinhalt von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO ist jedoch unklar. Dementsprechend schwierig ist es auch, genaue Feststellungen darüber zu treffen, wie ein Schutz von Whistleblowern bestmöglich erreicht werden kann.

Anders als im Rahmen des BetrVG benennt das Gericht hier keine Möglichkeiten, wie widerstreitende Interessen grundsätzlich ausbalanciert werden können. Stattdessen fordert es für eine Einschränkung des Auskunftsanspruchs nach DSGVO die konkrete Darlegung eines überwiegenden berechtigten Interesses im Einzelfall, etwa durch Angabe von „Sachverhalt/ Vorfall/ Thema in zeitlicher und örtlicher Eingrenzung nebst handelnder Person“ (Rn. 183).

Es sind Situationen denkbar, in denen ein so konkreter Vortrag nicht möglich ist, ohne gleichzeitig auch Aufschluss über die hinweisgebende Person zu geben. Eine bloße Anonymisierung der hinweisgebenden Person in der Akte über die internen Untersuchungen würde im Rahmen des Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO auch nicht ausreichen, um die Identität effektiv geheim zu halten. Denn bei einem internen Hinweisgeber-System würde bereits der Hinweis über die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten personenbezogene Daten im Sinne des Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO umfassen, auf die sich ein entsprechender Anspruch der betroffenen Person erstrecken könnte.

Einen zuverlässigeren Schutz von Whistleblowern kann aber ein externes Hinweisgebersystem bei einer rechtsanwaltlichen Stelle bieten. Zwar kann ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO auch gegenüber der externen Stelle gegeben sein, eine Beschränkung würde sich dann aber neben dem überwiegenden berechtigten Interesse Dritter auch ergeben, weil die übermittelten Informationen nach einer Rechtsvorschrift im Sinne des § 29 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BDSG geheim gehalten werden müssten. Denn die Geheimhaltungspflicht des Rechtsanwalts als Berufsgeheimnisträger ergibt sich unter anderem über § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. zu den Geheimhaltungspflichten aufgrund von Rechtsvorschriften: Eßer/Kramer/Lewinski/Eßer, BDSG, 6. Aufl. 2018, § 29 Rn. 16).

Auch die Kanzlei FS-PP bietet Dienstleistungen einer Ombudsperson in verschiedenen Bereichen an und trägt so zu der Anonymität und Sicherheit von Hinweisgebenden bei.

Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18,
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=27411