Das kommende Verbandssanktionengesetz fördert Compliance-Maßnahmen in Unternehmen, indem diese auf Tatbestands-, Rechtsfolgen- als auch auf Verfahrensseite berücksichtigt werden. Unternehmen sind gut beraten, die zweijährige Übergangsfrist zur Vorbereitung darauf zu nutzen.

Ein weiterer Schritt hin zur Gesetzeskraft

Für erhebliches Aufsehen sorgte im August 2019 bereits das Durchsickern eines Referentenentwurfs aus dem BMJV für ein „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ an die Öffentlichkeit. Nun macht die Realisierung der entsprechenden Koalitionsvereinbarung zwischen den Fraktionen von CDU/CSU und SPD einen weiteren Schritt in Richtung Gesetzeskraft. Denn im April 2020 veröffentlichte das BMJV den aktuellen Referentenentwurf – nunmehr unter dem Namen „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Der Entwurf ist inzwischen auch mit den anderen Ministerien abgestimmt. Aktuell haben betroffene Verbände und die juristischen Fachkreise Gelegenheit, bis zum 12. Juni 2020 Stellung zu dem Entwurf zu nehmen.

Kernstück des Gesetzes ist und bleibt das Verbandssanktionengesetz (VerSanG). Die wesentlichen Punkte sind bekannt: Die Ausdehnung des Legalitätsprinzips für Ermittlungen, ein erhöhter Sanktionsrahmen von bis zu 10 % des durchschnittlichen jährlichen (Konzern‑)Umsatzes und die positivrechtliche Erfassung und Berücksichtigung von Internen Untersuchungen und Compliance-Maßnahmen im Fall von Rechtsverstößen aus dem Unternehmen heraus.

Aber was bedeutet „Erfassung und Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen“ eigentlich konkret und was können Unternehmen heute schon daraus ableiten?

Tatbestandliche Anknüpfung an Compliance

Eine Verbandssanktion kann gemäß § 3 Abs. 1 VerSanG‑E auf eine verbandsbezogene Straftat (Verbandstat) einer Leitungsperson folgen, aber auch daraus, dass ein Rechtsverstoß in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes begangen wurde und dies durch angemessene Vorkehrungen hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können.

Letzteres findet sich als ähnliche Regelung bereits heute im Ordnungswidrigkeitenrecht in § 130 OWiG. Im Unterschied ist etwa der Begriff der „angemessenen Vorkehrungen“ des VerSangG-E weiter als der in § 130 OWiG verwendete Begriff der „Aufsicht“.

Prozessuale Berücksichtigung von Compliance

Überdies steht es im Gegensatz zum Ordnungswidrigkeitenrecht bei Verbandstaten nicht im Ermessen der Behörde, ob sie bei Vorliegen eines Anfangsverdachtes ermittelt. Durch die Verankerung des Legalitätsgrundsatzes im VerSanG-E wird jeder Anfangsverdacht verfolgt werden müssen und damit auch die Compliance-Systeme der Unternehmen stärker in den Fokus geraten.

Compliance auf Rechtsfolgenseite

Compliance-Maßnahmen finden auch im weiteren Verfahrensverlauf entscheidende Berücksichtigung. Sie können ausdrücklich wesentlicher Beweggrund sein, von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen und Weisungen von der Verfolgung abzusehen, vgl. §§ 35 f. VerSanG-E.

Ein solides Compliance-Management-System (CMS) kann letztlich ausschlaggebend sein, ob das Unternehmen auch im Falle eines erwiesenen Rechtsverstoßes noch „mit einem blauen Auge“ in Form einer Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt davonkommt. Dafür wird es entscheidend darauf ankommen, ob aufgrund der Einrichtung eines funktionalen CMS zu erwarten ist, dass die Verwarnung ausreicht, um weitere Verbandstaten in Zukunft zu vermeiden. Ein CMS kann ausweislich der Begründung des VerSanG-E im Rahmen einer Gesamtwürdigung als besonderer Umstand gewertet werden, der die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion entbehrlich macht.

Kommt es gleichwohl zu einer Verhängung einer Verbandssanktion, sind der Bestand und die Funktionalität eines CMS sowie dessen Adaption infolge eines Rechtsverstoßes im Unternehmen sanktionsmildernd zu berücksichtigen.

Was ist aus Unternehmenssicht zu tun?

Der Blick auf den Gesetzesentwurf verstärkt die bereits heute gültige Erkenntnis: Compliance lohnt sich!

Die Vorteile eines funktionalen CMS liegen nicht nur in der Vermeidung von Haftung, Sanktionen und Reputationsschäden. Seine Einrichtung lässt sich zugleich zur Optimierung von operativen Prozessen und Organisationsstrukturen nutzen. Ein gewisses Maß an Corporate Governance wird zudem immer häufiger zur Voraussetzung für die Anbahnung geschäftlicher Kontakte gemacht und rückt weiter in den Fokus der Bereiche Marketing und Kommunikation. Der Gesetzgeber unterstützt den Trend der letzten Jahre zu mehr Compliance mit dem VerSanG-E. Es darf erwartet werden, dass Compliance-Maßnahmen auch in Zukunft weiter gesetzgeberisch flankiert und insbesondere honoriert werden.

In der Entwurfsbegründung wird ausdrücklich anerkannt, dass die Anforderungen an ein Compliance-Programm von Art, Größe, Organisation und dem Geschäftsfeld eines Unternehmens abhängen. Kein CMS ist daher gleich. Es bedarf vielmehr einer Einrichtung anhand von Erfahrungswerten. Gleichzeitig soll das CMS nicht Stolperstein im Betriebsablauf sein oder ein unproduktives Klima des Misstrauens säen.

Die Übergangsfrist ist zu nutzen

Das Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft tritt erst zwei Jahre ab seiner Verkündung in Kraft. Diese Frist soll den Unternehmen Gelegenheit geben, ein neues CMS einzuführen oder ein bestehendes zu modernisieren. Zwei Jahre erscheinen lang - ein effektives CMS lässt sich jedoch nicht über Nacht aus dem Boden stampfen. Zunächst ist eine Bestandsaufnahme der bestehenden Compliance-Maßnahmen des Unternehmens und seines Geschäftsumfeldes vorzunehmen, um eine an den Unternehmenszielen und –werten orientierte Compliance zu ermöglichen. Es sind risikoorientierte Richtlinien zu erarbeiten, Organisationsstrukturen einzurichten, Verantwortlichkeiten zuzuordnen und einschlägiges Wissen zu vermitteln. Dass zwei Jahre hierfür knapp bemessen sein können, hat zuletzt die DSGVO vielen Unternehmen vor Augen geführt. Ein funktionales Compliance-Management-System sollte nicht aufgeschoben werden, zumal Unternehmen von Anfang an von seiner Einrichtung in vielfältiger Weise profitieren.

Notiert von Frank/ Breuer
06/2020