Zur Beschlagnahmefreiheit bei Compliance-Anwälten und Vertrauensanwälten
Schweizer Bundesstrafgericht: Sachverhaltsaufklärung zur rechtlichen Bewertung ist geschützte anwaltliche Tätigkeit
Die Abgrenzung zwischen Anwaltstätigkeit und reiner Compliancetätigkeit ist nicht immer einfach zu treffen, hat aber weitreichende Folgen: Die Anwaltstätigkeit profitiert vom Beschlagnahmeschutz; geht es lediglich um die Durchführung oder Überprüfung konkreter Compliance-Aufgaben können die Strafverfolgungsbehörden zugreifen.
Schweizer Bundesstrafgericht: Rechtliche Prüfung ist Anwaltstätigkeit
Wie schwierig die rechtliche Trennung zwischen Anwalts- und reiner Compliance-Tätigkeit ist, zeigt eine Entscheidung des Schweizer Bundesstrafgerichtes (Geschäftsnummer BE.2017.2) vom 04.09.2017. Die Schweizer Finanzbehörden verlangten von der Baseler Kantonalbank BKB die Herausgabe von Unterlagen, die eine von der Bank mit internen Ermittlungen beauftragte Rechtsanwaltskanzlei erstellt hatte. Im Rahmen der Betrugsaffäre um die ASE Investment stand der Verdacht im Raum, dass die BKB gegen Meldepflichten des schweizerischen Geldwäschegesetzes verstoßen habe. In diesem Zusammenhang hatte die BKB die Anwaltskanzlei damit beauftragt, die Geschäftsbeziehung der BKB zur ASE Investment zu untersuchen und bankregulatorisch zu würdigen.
Das Schweizer Bundesstrafgericht kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Überprüfung der Einhaltung von bankenrechtlichen Bestimmungen und der Abgabe von Empfehlungen zur Behebung von Verletzungen der gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben eindeutig um klassische anwaltliche Rechtsberatung handelt.
Sachverhaltsaufklärung ist ebenfalls anwaltliche Tätigkeit
Enorm wichtig ist die weitere Aussage, gleiches müsse zweifelsohne auch für die Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts – zu dessen Zweck im konkreten Fall über 520.000 E-Mails und diverse Telefonaufzeichnungen erhoben und mit Mitarbeitern der Bank ,,Interviews" durchgeführt wurden – gelten. Konsequenterweise haben die Richter deshalb den Antrag des Eidgenössischen Finanzdepartments auf "Entsiegelung" der von der Bank verschlüsselt übergebenen Datenträger mit den geforderten Unterlagen abgelehnt.
Rechtsanwalt Dr. Rainer Frank von FS-PP Berlin: "Die Entscheidung aus der Schweiz ist nicht nur für alle Anwälte von Bedeutung, die im Bereich Compliance tätig sind. Sie gibt vielmehr auch Hinweise für den Whistleblower-Schutz. Denn die rechtliche Fragestellung ist hier ähnlich: Ist die Tätigkeit des anwaltlichen Ombudsmanns/Vertrauensanwalts anwaltliche Tätigkeit und unterliegen die entsprechenden Unterlagen damit dem Beschlagnahmeverbot? Das dürfte auf jeden Fall immer dann der Fall sein, wenn die Tätigkeit auf die Feststellung eines Sachverhalts zur anschließenden rechtlichen Prüfung zielt."
Uneinheitliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik ist die Rechtsprechung zur Beschlagnahmefreiheit für Compliance-Anwälte, anwaltliche Ombudspersonen und Vertrauensanwälte uneinheitlich. Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung verlängert, in der der Staatsanwaltschaft München untersagt wurde, Informationen aus internen Ermittlungen der Kanzlei Jones Day auszuwerten. Die zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde soll im Laufe dieses Jahres entschieden werden. Dagegen hat das Landgericht Bochum im Jahr 2016 in einem Whistleblowerfall festgestellt, dass zwischen Ombudsanwältin und Hinweisgeber kein Vertrauensverhältnis entsteht, das eine Beschlagnahme von Unterlagen verbietet.
Dazu Rechtsanwalt Dr. Rainer Frank: Die Beauftragung eines Ombudsanwalts ist Teil moderner Criminal Compliance, die auf Prävention, Identifikation und Sanktion von schwerwiegenden Rechtsverstößen abzielt. Der Ombudsanwalt nimmt nicht nur als Empfangsbote Hinweise entgegen und leitet sie als Bote weiter. Er ist auf jeder Handlungsebene rechtlich bewertend und entscheidend tätig. Das ist klassische anwaltliche Tätigkeit.
Hoffnung auf besseren Hinweisgeberschutz in Deutschland
Einen kleinen Hoffnungsschimmer für den Whistleblowerschutz in Deutschland hat die Justizministerkonferenz vom vergangenen Herbst geweckt: Immerhin wird hier dem Bundesjustizministerium die Prüfung einer Notwendigkeit gesetzlicher Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern aufgetragen.