Wird gegen Ärztinnen und Ärzte wegen Abrechnungsbetruges ermittelt, drohen Durchsuchungen der Privatwohnung und der Praxisräume. Weil die Eingriffsschwelle, ein Anfangsverdacht, relativ niedrig ist, können auch unbescholtene Mediziner bei einem lediglich fahrlässigen Abrechnungsfehlverhalten betroffen sein. Eine Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth (12 Qs 24/22) zeigt auf, dass man sich gegen Durchsuchungsmaßnahmen zuweilen früh wehren kann – was sogar zu einem relativ schnellen Ende der Ermittlungen zu führen vermag. Auch den Vorwurf eines groß angelegten Abrechnungsbetruges muss man nicht widerspruchslos hinnehmen.

Der Fall

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg führte ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges nach § 263 StGB. Ihm lag zur Last, in den Quartalen 04/2020 sowie 01/2021 nicht oder nicht selbst erbrachte Leistungen an Kassenpatienten gegenüber der KV Bayern zu Unrecht abgerechnet zu haben. Das Amtsgericht Nürnberg erließ antragsgemäß einen Durchsuchungsbeschluss für u. a. die Räume der Praxis des Beschuldigten. Den Tatverdacht stützte das Amtsgericht neben einer Auskunft der KV Bayern darauf, dass nach Aussage einer Zeugin der Beschuldigte am 21. Dezember 2020 durch den Arzt A für die Zeugin erbrachte Leistungen als durch ihn erbrachte Leistungen abgerechnet habe. Darüber hinaus habe er – wiederum gestützt auf die Aussage der gleichen Zeugin – unter dem Leistungsdatum 23. März 2021 eine verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen mit einer Dauer von mindestens 15 Minuten (GOP 35110) abgerechnet, die er tatsächlich nicht erbracht habe.

Gegen den Durchsuchungsbeschluss legte der Verteidiger des Beschuldigten Beschwerde ein; zuletzt beantragte er, die Sicherstellung der mitgenommenen Gegenstände aufzuheben und diese an den Beschuldigten wieder herauszugeben. Das Amtsgericht Nürnberg half der Beschwerde nicht ab. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die Entscheidung

Das LG Nürnberg-Fürth hat auf die Beschwerde des Beschuldigten die Durchsuchungsanordnung des AG mit Beschluss vom 27.5.2022 (12 Qs 24/22) aufgehoben und entschieden, die auf Grundlage des Beschlusses sichergestellten Unterlagen seien zurückzugeben und die Daten zu löschen.

Zwar sei für das mit der Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses befasste Beschwerdegericht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zur Zeit seines Erlasses maßgeblich, wie sie dem Ermittlungsrichter bei seiner Entscheidung vorlag. Werde aber im weiteren Ermittlungsverfahren etwa durch die Vorlage neuer Beweismittel der Anfangsverdacht wieder beseitigt, so sei die Fortführung der Durchsuchung in Form der Durchsicht der aufgefundenen Unterlagen rechtswidrig. Hiervon ausgehend, habe sich in dem konkreten Fall der nach Aktenlage zunächst gegebene Anfangsverdacht nach Würdigung von der Verteidigung vorgelegter Unterlagen erledigt.

Ferner folgte das Beschwerdegericht nicht der Generalstaatsanwaltschaft und dem Amtsgericht, die (beide) aus den vorliegenden Verdachtsmomenten gefolgert hatten, der beschuldigte Arzt habe auch in einer Vielzahl weiterer Fälle, bei einer Vielzahl derzeit noch unbekannter gesetzlich Versicherter nicht oder nicht durch ihn selbst erbrachte Leistungen abgerechnet. Zwar bestehe bei der Frage des Anfangsverdachts ein Beurteilungsspielraum, der dem Staatsanwalt bei der Subsumtion des konkreten Sachverhalts einen gewissen Freiraum lasse, eigenverantwortlich seine Entscheidung auf der Basis seiner persönlichen kriminalistisch-forensischen Erfahrungen und subjektiven Bewertungen zu treffen. Eine danach als vertretbar zu wertende Einschätzung des Sachverhalts sei von dem Gericht hinzunehmen. Diese Grenze der Vertretbarkeit sei aber vorliegend überschritten.

Es lägen zwei unterschiedlich geartete Abrechnungsfehler vor, die eine systematische, über die Einzelfälle hinausweisende Falschabrechnungspraxis nicht aufzeigten oder auch nur andeuteten. Ferner sei – vorsätzliches Handeln unterstellt – die kriminelle Energie eher gering gewesen. Denn auch wenn es bei der streng formalen Betrachtungsweise für die Erfüllung des Betrugstatbestandes keinen Unterschied mache, ob eine gar nicht erbrachte Leistung abgerechnet oder eine erbrachte Leistung nur fehlerhaft verbucht wird, sei der Unterschied bei der Bewertung der kriminellen Energie signifikant. Andernfalls würden bloße Vermutungen und Spekulationen zur Grundlage für einen weitgehenden Grundrechtseingriff gemacht, was unzulässig ist. Denn, dass Falschabrechnungen stattfinden – teils vorsätzlich, teils irrig – sei so bedauerlich wie ubiquitär. Wenn aber hier schon das Auffinden zweier unterschiedlicher Abrechnungsfehler in zwei Quartalen es rechtfertigen solle, den Generalverdacht der Falschabrechnung für die letzten Jahre zu konstruieren und auf dieser Grundlage bei dem Beschuldigten umfangreich Material zu sichern, so entferne sich das allzu weit von dem schwachen tatsächlichen Ausgangspunkt. Die Durchsuchung solle einen gegebenen Tatverdacht belegen, nicht erst die Tatsachen herbeischaffen, um ihn zu begründen.

Konsequenz

Beschwerden gegen Durchsuchungsbeschlüsse können erfolgreich sein. Allzu häufig wird seitens der Strafverfolgungsbehörden aus singulären Fehlern auf einen groß angelegten Abrechnungsbetrug geschlossen, werden Abrechnungsunterlagen mehrerer Quartale und sogar Jahre sichergestellt, obgleich ein Abrechnungsfehlverhalten nur punktuell (wenn überhaupt) vorliegt. In solchen Fällen ist es notwendig, zum einen die Verdachtslage sehr genau zu überprüfen. Dabei können entlastende Argumente auch im Nachhinein noch vorgetragen werden, um die Durchsicht der sichergestellten Unterlagen zu stoppen, wohingegen es den Strafverfolgungsbehörden verwehrt ist, mit während der Durchsicht gewonnenen neuen Erkenntnissen nachträglich die Verdachtslage zu begründen. Die Verdachtslage muss im Zeitpunkt des Beschlusserlasses gegeben sein; eine Suche, um einen Verdacht erst begründen zu können, ist unzulässig.

Wer von einer Durchsuchungsmaßnahme betroffen ist, tut deshalb gut daran, sich so früh wie möglich dagegen zu wehren. Eine Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss kann der Auftakt einer ganzheitlichen Verteidigung sein – je früher, desto besser.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel