Wer im Gesundheitswesen arbeitet, wähnt sich oft mit einem Bein im Gefängnis. Stimmt nicht. Gleichwohl kann ein Fehler viele Folgen haben. Welche, erklärt Dr. Sebastian T. Vogel im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2022; 119(9): A-396 / B-324) – und hier.

Fehler und „Fehler“

Ärztinnen und Ärzte arbeiten in gefahrgeneigten Bereichen. Symptome können in die Irre führen, Krankheiten sich asymptomatisch zeigen. Eine in Sekundenbruchteilen getroffene Entscheidung kann nur die zweitbeste sein, eine Beobachtung als zu zögerlich, eine sofortige Maßnahme als Überdiagnostik kritisiert werden. Ein Laser kann zu nahe an gesundem Gewebe eingesetzt werden und die Aufklärung über unvermeidbare Risiken unzureichend sein. Hinzu kommt die „Gefahr“, in einem stark von Vertrauen geprägten System die eigene Abrechnung über Gebühr zu optimieren oder mit einer Kooperation im Gesundheitswesen die Grenzen zur Korruption im Gesundheitswesen auszuloten. Abrechnungen können auch ganz unvorsätzlich falsch sein. Und eine gute gemeinte Zusammenarbeit ist womöglich einfach nur schlecht gemacht.

Fallstricke gibt es viele für Ärztinnen und Ärzte, für Logopäden, Krankenpfleger, Zahnärztinnen, Apotheker. Verglichen mit der Anzahl an Behandlungen, die Tag für Tag, Stunde für Stunde und Minute für Minute in ganz Deutschlag durchgeführt werden, ist die Zahl von Rechtsstreitigkeiten sehr gering. Echte Fehler und solche, die nur für Fehler gehalten werden, gibt es gleichwohl – und sie können Folgen haben.

Verfahren: eins, zwei, viele

Der klassische Behandlungsfehler, die vorgeworfene Falschabrechnung – was jeweils nach einem singulären Problem klingt, kann sich ausweiten zu vielen kleinen und großen Ärgernissen. Wer als Patient Schadensersatz und Schmerzensgeld möchte, klagt zivilrechtlich. Ein strafrechtlicher Körperverletzungs- oder Tötungsvorwurf kann hinzukommen – und ist von dem Zivilrecht zu trennen. Die Ärztekammer kann etwas wollen: die Verletzung von Berufspflichten ahnden nämlich. Wenn es hart auf hart kommt, meldet sich die Approbationsbehörde. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) oder Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) kann sich melden und Honorare zurückfordern oder die Verletzung von vertragsärztlichen Pflichten disziplinarisch aufarbeiten oder die KV- bzw. KZV-Zulassung infrage stellen. Arbeitsrechtlich kann der Arbeitgeber etwas monieren. Und wer in der Universität tätig ist und dort etwas falsch gemacht hat, kann hochschulrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Letztlich kann eine Handlung – oder sogar: das Unterlassen einer einzigen Handlung (z. B. einer Befunderhebung) – zu gleich mehreren Verfahren führen. Und selbst wenn aktuell nur ein Verfahren geführt wird: Es ist sinnvoll, den Blick auch auf die anderen Rechtsgebiete zu richten, um die sonstigen möglichen Player im Gesundheitswesen nicht herauszufordern.

Alles hängt mit allem zusammen

Denn was in einem Verfahren passiert, kann Auswirkungen haben auf die übrigen. Gerade wer sich in einem Strafverfahren schlecht oder gar nicht verteidigt, kann andernorts schlafende Hunde wecken (weil z. B. die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung die Ärztekammer informiert). Ein Zweckgeständnis mag strafrechtlich sinnvoll sein – was im Strafbefehl oder im Strafurteil steht, kann aber grundsätzlich 1:1 für das Berufsrecht und das Approbationsrecht herangezogen werden, und ein Geständniswiderruf ist nur sehr schwer bis gar nicht mehr möglich.

Andersherum können sich aus den übrigen Verfahren Verteidigungsargumente für den Strafprozess ergeben, kann die zivilrechtliche Einigung vorteilhaft für das Strafverfahren sein, sind berufsrechtliche Konsequenzen strafzumessungsrelevant (und, dem vorgreiflich, Argument für bestimmte Einstellungsarten, ganz ohne Strafe).

Kurzum: Wer den Blick über den Tellerrand nicht wagt, verliert. Und wer wagt, gewinnt.

Wen fragen?

Wer ein spezifisches Problem mit dem Herzen hat, sollte irgendwann bei der Kardiologin landen, nicht (nur) beim Hausarzt. Und wer ein Strafverfahren gegen sich hat, ist beim Medizinstrafrechtler womöglich besser aufgehoben als bei Generalisten. Ein gutes Ergebnis im Strafverfahren beeinflusst die übrigen Verfahren in aller Regel vorteilhaft; von dem Strafverfahren ausgehend, lassen sich Probleme anderswo eher vermeiden oder besser in den Griff bekommen. Letztlich ist es wie bei Krankheiten: Was alleine kommt, kann von alleine wieder gehen. Wer frühzeitig agiert, kann aber schlimme Auswüchse verhindern und die Chancen auf einen guten Ausgang dramatisch steigern.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel