Wer als Ärztin oder Arzt eine Anklage oder einen Strafbefehl erhält, wähnt sich oft am Ende – oder am Anfang eines langen Verfahrens. Geht die Verteidigung dann aber erst los, weil erstmals ein Strafverteidiger involviert wird, kann damit tatsächlich der Anfang vom Ende, des Verfahrensendes nämlich, eingeläutet werden. Denn auch das Zwischenverfahren, der Teil zwischen Anklageerhebung oder Erlass eines Strafbefehls auf der einen und Hauptverhandlung auf der anderen Seite, kann erfolgreich genutzt werden – und eine Hauptverhandlung vermieden.

Die Situation

Der Briefkasten geht auf, ein Brief fällt heraus oder wird herausgefischt, Absender: Amtsgericht oder Landgericht. Hastig, ungläubig, nichts Gutes ahnend wird der Brief geöffnet.

 

Sehr geehrter Herr / sehr geehrte Frau Dr. …,

in der Strafsache gegen [Sie, Ihr Name]

wegen fahrlässiger Körperverletzung / fahrlässiger Tötung / Missbrauchs von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen / Verletzung von Privatgeheimnissen / Betruges / Korruption im Gesundheitswesen

wird Ihnen anliegend die Anklageschrift mitgeteilt. Sie werden aufgefordert, innerhalb von x Wochen schriftlich zu erklären, ob Sie die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wollen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Würden Sie nicht noch vor dem Briefkasten stehen, würden Sie sich jetzt gern hinsetzen. Machen Sie vielleicht trotzdem. Dabei war doch eigentlich alles klar. Sie haben eine Vorladung als Beschuldigter oder Beschuldigte erhalten. Sie waren bei der Polizei und haben eine Aussage gemacht. Oder Sie haben schriftlich geantwortet. Oder Sie dachten, alles würde sich auch ohne Sie auflösen. Jedenfalls waren Sie der festen Überzeugung, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft schon dahinter kommen würden, dass Sie alles korrekt gemacht hatten und der Vorwurf falsch sei. Und nun: die Anklage oder der Strafbefehl. Sie lesen sich die Anschuldigungen durch, die gegen Sie erhoben werden, und fühlen sich im falschen Film. Und machtlos, weil Sie nicht wissen, wie es weitergeht.

Wie es weitergeht

Sie besorgen sich eine Verteidigerin oder einen Verteidiger. Die oder der sagt Ihnen, dass man jetzt erst einmal gar nichts machen könne; das Ziel sei, sich bestmöglich auf die Hauptverhandlung vorzubereiten. Dann besorgen Sie sich einen neuen Verteidiger. Denn: Gerade in Arztstrafverfahren ist das so genannte Zwischenverfahren, also das Verfahren nach Anklageerhebung und vor einer Hauptverhandlung, so gut wie immer der Moment, in dem man spätestens anfangen sollte zu verteidigen. Ist bis jetzt kein Schriftsatz bei der Akte, wäre ein Abwarten auf eine Hauptverhandlung in aller Regel nicht lege artis.

Der Goldstandard ist der, bereits im Ermittlungsverfahren (mit anwaltlicher Hilfe und in Aktenkenntnis) umfangreich vorzutragen. Ist diese Chance versäumt worden, sollte jedenfalls nach Anklageerhebung ein Schriftsatz erarbeitet werden, mit dem Ziel, eine Hauptverhandlung bestenfalls zu vermeiden, zumindest aber vorzubereiten. Sie kann vermieden werden, weil Polizeibeamte und Staatsanwältinnen (mit Verlaub) selten Ahnung von Medizinstrafrecht haben und so erstmals Expertise in das Verfahren kommt, die eine Verfahrensbeendigung befördern kann, auch ohne Hauptverhandlung. Jedenfalls hat solch ein Schriftsatz immer einen guten Einfluss auf das Gericht, weil das Letzte, was ein Richter vor einer möglichen Hauptverhandlung liest, dann nicht die desaströse Anklage ist, sondern der – positive – Schriftsatz für den Arzt.

Was damit erreicht werden kann

Ziele für das Zwischenverfahren gibt es viele. Ein Gericht kann die mit der Anklage beantragte Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen, das Verfahren nicht eröffnen und damit – je nach Begründung – das Verfahren de facto gleich ganz beenden. Es kann ein Mittelweg gefunden werden in Gestalt einer Einstellung gegen eine Geldauflage an eine gemeinnützige Einrichtung oder den Patienten oder die Angehörigen der Patientin – und das Verfahren ist auch dann beendet. Ein Gericht kann dazu gebracht werden, notwendige Beweiserhebungen, die bisher versäumt wurden, nachzuholen, etwa einen Gutachter ergänzend zu befragen mit einem Katalog, den die Verteidigung vorschlägt. Oder: Ein Schriftsatz kann zumindest erreichen, Verständnis für die Ärzteseite zu generieren, die Ärztin als Person hervorzuheben und nicht nur das „Opfer“, die Patienten- oder Angehörigenseite, zu Wort kommen zu lassen.

Gerade in Arztstrafverfahren und Medizinstrafverfahren generell ist das Zwischenverfahren so gut wie immer der Moment, um Weichen zu stellen. Wer den Verfahrenszug, der mit der Anklage schon Fahrt aufgenommen hat, weiterrollen lässt, gerät schnell auf abschüssiges Terrain und kann ihn nur noch ganz schwer aufhalten.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel