Das LG Kempten hat in einem Urteil vom 8. Oktober 2020 (3 Ns 111 Js 10508/14) entschieden, dass ein Arzt zur Aufklärung über solche in seiner Person liegenden Risiken verpflichtet sei, die Einfluss auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung haben können. Unterlässt er eine solche Aufklärung, mache er sich auch dann strafbar wegen Körperverletzung, wenn er die Behandlung sachgerecht ausführt. Dieses Ergebnis, das bisher noch kein höchstrichterliches Vorbild hat, ist in dieser Pauschalität falsch. Und: Das Gericht behauptet, statt zu begründen; es unterstellt, anstatt zu erklären. Entlastende Erwägungen, auf die man hätte kommen können, sind – um des Ergebnisses willen, wenngleich vielleicht psychologisch erklärlich – nicht angestellt worden. Die Kritik, die an dem Urteil entbrennen muss, ist nicht motiviert dadurch, dass da ein Arzt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist – sie begründet sich aus der Enttäuschung über die Qualität der Entscheidung.

Der Fall

Der nicht vorbestrafte Angeklagte war Augenarzt und führte seit 1995 neben der konservativen Behandlung von Patienten ambulante augenärztliche Operationen, insbesondere Operationen des Grauen Stars, sog. Kataraktoperationen, aus. 2009 erlitt der Angeklagte einen Schlaganfall mit Gehirnblutung und einmaligem epileptischen Anfall, was in der Folge zu Einschränkungen wie u. a. einer rechtsseitigen armbetonten unvollständigen Lähmung führte. Anfang 2011 fühlte sich der Angeklagte wieder in der Lage, Operationen selbstständig durchzuführen. Von 2011 bis 2016 operierte er 2.943 gesetzlich versicherte und eine unbekannte Zahl von Privatpatienten. Dabei sei er in dem gesamten Zeitraum objektiv ungeeignet gewesen, operative Tätigkeiten als Augenarzt durchzuführen, was er, so das Gericht, bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, jedoch irrigerweise nicht erkannt habe. So sei er von ärztlichen und nichtärztlichen Praxismitarbeiterinnen ab 2011 wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine erhöhte Zahl von Komplikationen bei den Kataraktoperationen vorliege. Indes ist auch festgestellt, dass er vor dem erneuten Beginn der Operationen zunächst Kontakt zu einem Kollegen, einem selbst operierenden Augenarzt, aufgenommen hatte, der dem Angeklagten an sieben Tagen bei je vier bis fünf Kataraktoperationen assistiert habe. Nach Abschluss dieser sieben Termine habe sich der Arzt gegenüber dem Angeklagten davon überzeugt gezeigt, dass die operativen Fähigkeiten des Angeklagten wiederhergestellt waren. Ferner habe zu der Annahme des Angeklagten auch eine Untersuchung der zuständigen Aufsichtsbehörde zwischen 2011 und 2014 beigetragen, die zu dem Ergebnis kam, dass trotz des erlittenen Schlaganfalls keine Anhaltspunkte für Einschränkungen des Angeklagten als Operateur bestünden. Bereits Mitte 2011 veranlasste die Approbationsbehörde eine Untersuchung des Angeklagten durch den Amtsarzt. Ergebnis dieser Untersuchung war, dass trotz des erlittenen Schlaganfalls keine Anhaltspunkte für körperliche Einschränkungen bei dem Angeklagten gegeben seien. Erstmals im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wurde ein neurologisches Gutachten erstattet, das zu dem Ergebnis gelangte, dass der Angeklagte u. a. aufgrund der tiefensensorischen Störungen und motorischen Einschränkungen neurologisch objektiv ungeeignet sei, augenärztliche Operationen durchzuführen. Nach Kenntnis davon beendete der Angeklagte seine Tätigkeit als Operateur.

Die Anklage fußte auf neun Fällen von Kataraktoperationen. Die Patienten seien über die normalen Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden. Eine Belehrung über die Gesundheitsprobleme des Angeklagten, konkret darüber, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte und welche Folgen hieraus noch resultierten, erfolgte in keinem Fall. Keiner der Patienten hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung von dem Angeklagten operieren lassen, was, so das Gericht, der Angeklagte habe erkennen können. Bei sämtlichen Operationen kam es zu Problemen, die, so das Gericht, teils behandlungsfehlerhaft gewesen seien; teils konnte ein Behandlungsfehler nicht nachgewiesen werden.

Die Regierung von Oberbayern entschied am 16. Oktober 2018, sachverständig beraten, die Approbation ruhend zu stellen. Die Schwere der Hirnschädigung führe zu Störungen von Feinmotorik und Koordination, weshalb der Arzt ungeeignet sei, in einem operierenden Fach, insbesondere bei mikrochirurgischen Eingriffen, tätig zu sein. Die Feinmotorikstörungen der rechten Hand seien so erheblich, dass der Patientenschutz nicht in jeder Hinsicht, insbesondere nicht in unvorhersehbaren Situationen, gewährleistet sei. Ferner liege eine Anosognosie vor, weshalb der Angeklagte die objektivierbar bestehenden Leistungsschwächen nicht in ausreichendem Maße bewusst wahrnehme. Durch diese Störung drohe eine Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten, sodass der Patientenschutz nicht in jeder Situation sichergestellt werden könne. Letztlich auf Ebene der geistigen Leistungs- und Urteilsfähigkeit bestünden ausgeprägte kognitive Funktionseinschränkungen.

Die in der strafrechtlichen Hauptverhandlung eingeholten Sachverständigengutachten bestätigten, dass der Angeklagte seit 2011 nicht geeignet war, die in Rede stehenden Operationen durchzuführen. Ein erster augenärztlicher Sachverständiger kam zu dem Ergebnis, dass es bei sieben der acht durch ihn begutachteten Patienten eindeutig zu schweren operativen Komplikationen im Rahmen der Kataraktoperationen gekommen sei. Bei sechs der sieben Operationen mit schweren operativen Komplikationen hätten die Komplikationen dem typischen Spektrum von Komplikationen entsprochen, die im Rahmen einer Kataraktoperation bekannt und beschrieben sind. Solche Komplikationen ließen sich nicht immer sicher vermeiden; sie könnten mit der neurologischen Schwäche des Angeklagten zusammenhängen, es könne aber auch andere Ursachen geben. Ein zweites augenärztliches Gutachten habe ergeben, dass bei zwei von ihm untersuchten Patienten Komplikationen entstanden, die zu den Komplikationen gehörten, die niemals sicher ausschließbar seien. Allein aus diesen zwei Operationen ließe sich nicht sicher ableiten, dass der Operateur zu einer Kataraktoperation unfähig sei. Hinsichtlich der neurologischen Diagnose einer Tiefensensibilitätsstörung sei es für ihn schwer, dies zu beurteilen. Die Diagnose lasse einen durchaus zögern, auf der anderen Seite sei es aber möglich, gewisse körperliche Einschränkungen durch viel Erfahrung wettzumachen. Insbesondere gebe es alte Operateure, die z. B. zitterten, das aber durch Aufstützen der Hände und viel Erfahrung wiedergutmachten, sodass ihre Ergebnisse nicht von denen anderer Operateure abwichen. Letztlich sei es aus seiner Sicht so, dass man nicht die schlechtesten Operationsergebnisse heranziehen könne, um daraus die Fähigkeit eines Operateurs zu beurteilen. Bei den beiden von ihm untersuchten Patienten sei es so gewesen, dass erschwerende Bedingungen bei diesen Patienten bestanden hätten und es sich nicht um routinemäßige Eingriffe handelte. Dadurch habe ein höheres Risiko für eine Komplikation bestanden.

Die Entscheidung

Nachdem das Amtsgericht Kempten als Schöffengericht den Angeklagten noch wegen schwerer Körperverletzung in zwei und vorsätzlicher einfacher Körperverletzung in sieben Fällen zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt hatte, erkannte das Berufungsgericht auf fahrlässige Körperverletzung in neun Fällen und eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Die Vornahme der Kataraktoperation sei eine tatbestandliche Körperverletzung, die mangels wirksamer Einwilligung nicht gerechtfertigt gewesen sei. Denn es habe nach Ansicht des Gerichts einer spezifischen Aufklärung der Patienten über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Angeklagten bedurft, die sich als solche Mängel in der Person des Angeklagten dargestellt hätten, die für die sachgerechte Berufsausübung von Bedeutung sind. Die Aufklärungspflicht umfasse nämlich auch solche in der Person des Arztes liegenden Risiken, die auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung Einfluss haben können. Nur wenn sicher ausgeschlossen werden könne, dass die in der Person des Arztes liegenden Risiken seine Fähigkeiten zur sachgerechten Berufsausübung unberührt lassen, bestehe eine solche Aufklärungspflicht nicht. Unterlässt der Arzt eine hiernach gebotene Aufklärung, sei eine von dem Patienten erteilte Einwilligung wegen Willensmängeln unwirksam und der Arzt mache sich auch dann, wenn er die Behandlung sachgerecht durchführt, wegen einer (vorsätzlichen oder irrtumsbedingt fahrlässigen) Körperverletzung strafbar.

Zwar sei eine vorsätzliche Körperverletzung hier ausgeschlossen, weil sich der Arzt in einem sog. Erlaubnistatbestandsirrtums befunden habe. Jedoch habe er fahrlässig gehandelt, weil ein umsichtiger und erfahrener Facharzt derselben Fachrichtung in gleicher Situation bei Vorliegen der weiterhin bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen nach dem Schlaganfall die Kataraktoperationen nicht ausgeführt hätte. Deshalb liege in jedem der neun Fälle ein Aufklärungsfehler vor. Hinzu kämen bei sechs Patienten Behandlungsfehler und bei einer Patientin ein Organisationsfehler.

Betreffend die Aufklärungsfehler seien auch die Merkmale Pflichtwidrigkeitszusammenhang und objektive Vorhersehbarkeit gegeben, Letzteres deshalb, weil der Geschehensablauf nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liege, dass der Angeklagte auch bei Anwendung der nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt nicht mit ihm zu rechnen brauchte. Mehr Ausführungen dazu enthält die Entscheidung nicht.

Für die fahrlässigen Körperverletzungen urteilte das Gericht auf eine Gesamtstrafe in Höhe von neun Monaten auf Bewährung. Zu Gunsten wurde gewertet, dass der Angeklagte sich bei seinen Patienten entschuldigt und an alle Patienten oder deren Hinterbliebene eine Schmerzensgeldzahlung von jeweils 3.500,00 € bis 4.500,00 € geleistet hatte, ferner sein Geständnis und dass er nicht vorbestraft war. Zu seinen Lasten spreche, dass der Angeklagte in sämtlichen Fällen das Vertrauen seiner Patienten missbraucht habe. Ferner seien die in zwei Fällen aufgetretenen schweren Folgen in Form einer Erblindung negativ in Ansatz zu bringen. Im Ergebnis sei eine Freiheitsstrafe (und keine Geldstrafe) aus Sicht des Gerichts notwendig gewesen, zum einen um ihm das Unrecht der Taten vor Augen zu führen, zum anderen zur Verteidigung der Rechtsordnung. Denn der Angeklagte habe mit seinen Taten das ihm als Arzt entgegengebrachte besondere Vertrauen der Bevölkerung missbraucht, welches stets auch das Vertrauen auf eine bestmögliche, dem Facharztstandard entsprechende Behandlung durch einen nicht nur fachlich, sondern auch körperlich und geistig dazu geeigneten Arzt beinhalte. Gleichwohl sei eine Bewährungsstrafe angezeigt gewesen, nicht zuletzt weil der Angeklagte nie mehr als Arzt tätig werde. Ein Berufsverbot verhängte das Gericht nicht, weil angesichts des Ruhens seiner Approbation keine Wiederholung drohe.

Kritik an der Entscheidung

Die sehr lange Entscheidung ist dort kurz, wo ein paar Worte mehr sinnvoll gewesen wären: bei der Begründung der Strafbarkeit. Unabhängig davon, dass Behandlungs- und ein Organisationsfehler angenommen werden ohne ein Wort der Erläuterung (und wider die wiedergegebenen Gutachten), ist die Entscheidung mit Blick auf die Aufklärung allzu pauschal. Es mag einleuchtend sein, bei einer Erkrankung, derentwegen eine Approbation nicht erteilt werden dürfte, an eine Aufklärungspflicht zu denken – zu behaupten aber, man müsse über alle in der Person des Arztes liegenden Risiken aufklären, die auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung theoretisch Einfluss haben können, geht zu weit. Denn das würde bedeuten, dass jeder Arzt nach einer mehrstündigen Schicht über die Dauer der Schicht aufklärungspflichtig würde (denn natürlich sinkt die Konzentration nach mehreren Stunden im Dienst ab), ferner nach einer unruhigen Nacht mit wenig Schlaf oder bei Kopfschmerzen (alles führt dazu, dass der Arzt nicht bei 100 % ist). Dass in solchen Fällen bei Unterlassen einer entsprechenden Aufklärung immer eine Strafbarkeit stehe, ist schlicht praxisfern und juristisch falsch.

Auch hat sich das Gericht nicht ansatzweise damit befasst, ob der Angeklagte tatsächlich vorhersehen konnte, dass er nicht geeignet war – immerhin hatten ihm mehrere Externe, darunter ein Amtsarzt, bestätigt, dass er arbeiten und operieren könne. Ihm wurde überdies eine Anosognosie attestiert, die seine Einsichtsfähigkeit eingeschränkt habe. Die subjektive Vorhersehbarkeit ist ein Tatbestandsmerkmal, an das ein Volljurist durchaus einmal denken könnte.

Die Strafzumessungserwägungen letztlich sind unvollständig und falsch. Wer nie wieder operiert, bedarf in solch einem Fall keiner Freiheitsstrafe. Wer bei einer Fahrlässigkeitstat von „Missbrauch“ von Vertrauen spricht, hat die deutsche Sprache nicht verstanden.

Schlimmer als diese Entscheidung ist nur noch die erstinstanzliche, die sogar Vorsatz angenommen hat.

Fazit: Kein Arzt darf sich bei einem Ermittlungsverfahren gegen ihn darauf verlassen, dass die Staatsanwaltschaft und ggf. ein Gericht schon wissen, was sie tun. Das wissen sie in medizinstrafrechtlichen Fällen oft nicht. Da hilft nur eine gute, auf das Medizinstrafrecht versierte Verteidigung – und in solchen Fällen wie hier nur eine dritte Instanz.

Ansprechpartner
Dr. Sebastian T. Vogel