Der Fall – Manipulation der Zuteilungsreihenfolge

Das OLG Braunschweig hat im Rahmen einer Haftentscheidung die Auffassung vertreten, dass die Manipulation der Zuteilungsreihenfolge von Spenderorganen durch einen Arzt zum Vorteil der eigenen Patienten als versuchte Tötung der dadurch benachteiligten anderen Patienten zu qualifizieren sei.

Dem in Untersuchungshaft befindlichen Transplantationsmediziner wird vorgeworfen, als verantwortlicher Arzt eines Transplantationszentrums einige seiner – auf eine Spenderleber wartende – Patienten wahrheitswidrig an die Stiftung Eurotransplant als Dialysepatienten gemeldet zu haben. Damit soll er versucht haben, die Reihenfolge der Zuteilung von Spenderorganen zu Gunsten seiner Patienten zu beeinflussen.

So soll beispielsweise der Transplantationsmediziner einige Patienten vor Ablauf der vorgeschriebenen sechsmonatigen Alkoholkarenzzeit auf die Warteliste gesetzt haben. Dem beschuldigten Arzt sei – so das OLG – bewusst gewesen, dass es durch seine wahrheitswidrigen Angaben in einem engen zeitlichen Zusammenhang unmittelbar zur Zuteilung eines Spenderorgans komme.

OLG: Tötungsversuch bei Manipulation

Gleichzeitig meint das OLG, dass diese manipulative Meldung der eigenen Patienten die Zuteilung eines Spenderorgans an andere lebensbedrohlich erkrankte bzw. auf eine Leberspende wartende Patienten verzögert habe. Nach Auffassung des OLG Braunschweig soll es der beschuldigte Arzt daher für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass auf der Warteliste durch die Manipulation „überholte“ Patienten noch vor einer das Leben rettenden Transplantation versterben.

Auch die Sorge um den eigenen Patienten bzw. medizinische oder juristische Bedenken gegenüber dem derzeitigen Organverteilungsverfahren seien nicht geeignet, die Manipulationen des beschuldigten Arztes strafrechtlich zu rechtfertigen oder zu entschuldigen.

Kritik an OLG-Beschluss

Die Argumentation des OLG Braunschweig überzeugt juristisch nicht. Es liegt der Verdacht nahe, dass sich das OLG mit der angenommenen Versuchsstrafbarkeit nur behelfen will:

Denn das Versterben eines Menschen kann (als vollendete Tat) nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Kausalität der unberechtigten Nicht-Zuteilung eines Organs für den Tod eines anderen nachweisbar wäre. Es ist aber fraglich, ob sich dies im Rahmen der derzeit praktizierten Organverteilung beweisen lassen wird. Auch erscheint fraglich, ob sich ein Tötungsvorsatz nachweisen ließe. Ein Arzt, der manipulativ seinen eigenen Patienten den vorschnellen Erhalt eines Organs sichert, geht nicht ohne Weiteres auch davon aus, dass er durch sein Handeln fremdes Leben eines unbekannten Kranken, dessen genauen Zustand er ebenfalls nicht kennt, zerstört.

Organe werden nicht nur an „High-Urgency“-Patienten verteilt, sondern eben auch an Patienten, die nicht sogleich zu versterben drohen. Auch weil die Patienten auf der Warteliste ohnehin kein Recht auf Zuteilung eines Organs im Rahmen der Krankenbehandlung haben, ist fraglich, ob der Tod eines anderen Patienten dem beschuldigten Arzt überhaupt strafrechtlich zugerechnet werden kann.

Aktueller Prüfbericht der Bundesärztekammer

Bei dem Fall des OLG Braunschweig handelt es sich nicht um einen Einzelfall: Nach monatelanger Untersuchung aller 24 Lebertransplantationsprogramme in Deutschland hat die Bundesärztekammer nun einen Prüfbericht vorgestellt. Danach soll es in den Universitätskliniken Göttingen, Leipzig, Münster und im Klinikum rechts der Isar systematische Regel- bzw. schwerwiegende Richtlinienverstöße unterschiedlicher Ausprägung gegeben haben.

Neuer Straftatbestand im Transplantationsgesetz

Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich auf die öffentliche Empörung reagiert und mit den §§ 10 Abs. 3, 19 Abs. 2 a TPG n. F. einen neuen Straftatbestand mit Strafandrohung bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe für vorsätzliche falsche Angaben gegenüber der Organvermittlungsstelle geschaffen.

Praxishinweis 

Vor dem Hintergrund des Prüfberichts der Bundesärztekammer und der Entscheidung des OLG Braunschweig ist Transplantationsmedizinern zu raten, die derzeitigen Regelungen des Organvergabeverfahrens peinlich genau einzuhalten. Bei Verstößen drohen nicht nur berufs-, sondern vor allem auch erhebliche strafrechtliche Konsequenzen. Betroffene Ärzte sollten sich von einem auf das Arztstrafrecht spezialisierten Fachanwalt für Strafrecht beraten lassen, da derzeit erhebliche Unsicherheit herrscht:

Notiert von Horrer und Auffermann 09/2013