Am 21.7.2011 hat der 5. (Leipziger) Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen ebenfalls die Frage vorgelegt, ob Vertragsärzte (Kassenärzte) Amtsträger oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebs sind, da die Frage grundsätzliche Bedeutung hat und ihre Klärung zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist (5 StR  115/11). Die Vorlage nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf den inhaltsgleichen Vorlagebeschluss des 3. Strafsenats vom 5. Mai 2011 (3 StR 458/10).

Sachverhalt

In dem zugrundeliegenden Verfahren hat das Landgericht Hamburg am 9.12.2010 einen niedergelassenen Vertragsarzt wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und eine Pharmareferentin wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr jeweils zu Geldstrafen von 90 Tagessätzen verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Arzt von einem Pharmahersteller umsatzabhängige Prämien für die Verordnung von Medikamenten erhalten. Lediglich die Pharmareferentin hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt.

Das Landgericht Hamburg hat in seinem ausführlich begründeten Urteil die Auffassung vertreten, dass ein Vertragsarzt nicht die Anforderungen an eine Amtsträgerstellung nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB erfülle. Aus diesem Grunde schieden auch die Amtsdelikte der Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung, Bestechlichkeit bzw. Bestechung, §§ 331 ff. StGB aus. Der Vertragsarzt sei jedoch – im Hinblick auf die gesetzlichen Krankenkassen – als Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs im geschäftlichen Verkehr im Sinne des § 299 StGB anzusehen.

Die bisherige Entwicklung

Bereits der dritte Senat vertrat mit Beschluss vom 5. Mai 2001 (3 StR 458/10) die Meinung, dass „ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt bei der Verordnung von Hilfsmitteln (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V) als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB [handelt], so dass die Zuwendung ihm im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit gewährter Vorteile den Tatbestand der Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) oder den der Bestechung (§ 334 StGB) erfüllen kann“ und legte die Frage dem Großen Senat vor.

Da nun im vorliegenden Verfahren die Frage entscheidungserheblich ist, ob Vertragsärzte, wenn sie ihren gesetzlich versicherten Patienten Arzneimittel verordnen, als Amtsträger und/oder Beauftragte im geschäftlichen Verkehr tätig werden, hat der 5. Strafsenat dieses Verfahren gleichfalls dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt.

Der 3. Strafsenat hatte bereits am 5. Mai die Vorlage an den Großen Senat wie folgt begründet: Die Beantwortung der Frage, ob Vertragsärzte Amtsträger oder Beauftrage sind, „wirkt deshalb richtungsweisend für die Rechtsanwendung im Bereich der strafrechtlichen Verfolgung des sog. Pharmamarketing. Dabei ist mit Blick auf die erheblichen Auswirkungen eine möglichst einheitliche, sich an entsprechenden Vorgaben des Großen Senats für Strafsachen orientierende Handhabung der Praxis geboten. Die Vorlage ist zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Sie zielt auf die Festlegung neuer Auslegungsgrundsätze, als deren Folge sich ein geändertes Verständnis der Stellung des Vertragsarztes im Verhältnis zu den Krankenkassen ergibt.“

Aktuelles

Zwischenzeitlich hat der Große Senat für Strafsachen am 29.03.2012 entschieden, dass sich Kassenärzte nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen (GSSt 2/11).

Das Risiko für Ärzte und Pharmareferenten, in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten, ist dennoch hoch. Absprachen zwischen Vertragsärzten und der Pharmaindustrie, die bis vor kurzem noch gängige Praxis waren, Einladungen zu Ärztereisen, Rückvergütungen oder Sponsoring von Praxisausstattungen, können nicht nur die Strafverfolgung begründen:

Die Praxis verstößt oft bereits gegen die ärztliche Berufsordnung sowie § 7 HWG, nach der es Ärzten nicht gestattet ist, für Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte anzunehmen. Denn der Arzt muss in seiner Entscheidung über die Auswahl einer Behandlung frei sein.

Doch auch dies bedeutet nicht die Unmöglichkeit der Zusammenarbeit. Die Orientierung an den strengen Grundsätzen und Verhaltensrichtlinien bzw. -kodizes, die für die Zusammenarbeit der Pharma- und Medizinprodukteindustrie und der Ärzte in Kliniken entwickelt wurden, ermöglicht auch in Zukunft Kooperationen. Allerdings bedarf jeder Einzelfall sorgfältiger juristischer Prüfung, um strafrechtliche Risiken zu erkennen und auszuschließen.

Zum Thema

„Mächtig Aufruhr in der Branche“ – Interview mit RA Dr. Niklas Auffermann in der Financial Times Deutschland vom 3.5.2011

Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen

Landgericht Hamburg verurteilt niedergelassenen Arzt und Pharmareferentin

Neue Straftatbestände für Ärzte

Quelle: Pressestelle des BGH

Notiert von Auffermann 07/2011