Beschlagnahme und Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen aus Internal Investigations
Dürfen von Rechtsanwälten im Rahmen interner Untersuchungen erstellte Unterlagen beim Unternehmen und/oder in der Anwaltskanzlei beschlagnahmt werden?
Interne Untersuchungen – Internal Investigations, auch als interne Erhebungen bezeichnet – sind in großen und mittleren Unternehmen an der Tagesordnung. Sie zielen auf Aufklärung innerbetrieblicher Verdachtsfälle, um die Sanktion von Rechtsverstößen zu ermöglichen und Rechts- und Regeltreue in der Zukunft zu gewährleisten. Insbesondere die durch externe Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer durchgeführten internen Untersuchungen sind zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil effektiver Compliance-Management-Systeme geworden.
Im Rahmen von internen Untersuchungen werden durch die mit den Ermittlungen betrauten Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer Dokumente erstellt: Protokolle über Interviews von Mitarbeitern, Zwischen- oder Abschlussberichte. Diese Dokumente sind auch für die staatlichen Ermittlungsbehörden von Interesse.
In der Rechtsprechung ist noch nicht abschließend geklärt, inwieweit diese Unterlagen, soweit sie von Rechtsanwälten erstellt wurden, durch die Ermittlungsbehörden beschlagnahmt werden dürfen. Dabei ist danach zu differenzieren, ob sich die Unterlagen in der mit der Untersuchung beauftragten Rechtsanwaltskanzlei oder im Gewahrsam des beauftragenden Unternehmens befinden.
LG Hamburg 2010: Beschlagnahme beim Unternehmen und beim Anwalt
Im HSH-Nordbank Verfahren hat das LG Hamburg (Beschluss vom 10.10.2010, 608 Qs 18/10) entschieden, dass derartige Unterlagen weder im Gewahrsam des Unternehmens noch in der Rechtsanwaltskanzlei einem Beschlagnahmeschutz unterliegen. Das LG Hamburg vertrat die Auffassung, dass sich ein zwischen einem Unternehmen und einem Rechtsanwalt bestehendes Mandatsverhältnis nicht auf die Organe des Unternehmens als juristischer Person erstrecke und zu diesen daher auch kein geschütztes Vertrauensverhältnis entstehe. Das sei aber Voraussetzung und Grundlage der Annahme eines Beschlagnahmeverbots. Kurz: Kein Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen aus internen Untersuchungen, weder beim Anwalt noch beim Unternehmen.
LG Mannheim 2012: Beschlagnahme beim Unternehmen, aber nicht beim Anwalt
Das LG Mannheim hat nach der Neufassung des § 160a StPO im Jahre 2012 (Beschluss vom 03.07.2012, 24 Qs 1/12, 24 Qs 2/12) entschieden, dass Mandatsunterlagen aus einer internen Untersuchung durch den neuen § 160a StPO anderen Mandatsunterlagen im Sinne des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO gleichgestellt und daher zumindest im Gewahrsam der Rechtsanwaltskanzlei beschlagnahmefrei sind, soweit sie nicht rechtsmissbräuchlich (gleichermaßen als Außendepot des Unternehmens) dorthin verbracht wurden. Unterlagen im Gewahrsam des Unternehmens seien demgegenüber keine Verteidigungsunterlagen und könnten daher beschlagnahmt werden. Kurz: Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen aus internen Untersuchungen beim Anwalt, aber nicht beim Unternehmen
LG Braunschweig 2015: Beschlagnahme weder beim Anwalt noch beim Unternehmen
Im Sommer 2015 ist das LG Braunschweig dieser Rechtsprechung entgegen getreten und hat entschieden, dass die Beschlagnahme von Unterlagen, die eine Anwaltskanzlei im Rahmen von internen Ermittlungen erstellt hat, auch im Gewahrsam des beauftragenden Unternehmens unzulässig ist (LG Braunschweig, Beschluss vom 21.07.2015, Az.: 6 Qs 116/15). Denn die Dokumente seien als Verteidigerunterlagen gemäß §§ 97, 148 StPO zu qualifizieren und unterfielen damit der durch die Rechtsprechung angenommenen über § 97 Abs. 2 S. 1 StPO hinausgehenden Beschlagnahmefreiheit. Dieser Schutz sei in zeitlicher Hinsicht zudem unabhängig von der förmlichen Einleitung eines behördlichen Ermittlungsverfahrens. Vielmehr genüge für die Entstehung eines schützenswerten Vertrauensverhältnisses auch schon die bloße Befürchtung der Einleitung eines Verfahrens. Die im Rahmen einer internen Ermittlung vorgenommene Sachverhaltsaufklärung könne hierbei ein wesentliches Element der Vorbereitung einer wirksamen Verteidigung darstellen. Kurz: Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen aus internen Untersuchungen sowohl beim Anwalt als auch beim Unternehmen.
Die Bedeutung der jüngsten Entscheidung
Die Entscheidung des LG Braunschweig ist von erheblicher praktischer Bedeutung und ist im Sinne einer freien und ungehinderten Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant aus anwaltlicher Sicht zu begrüßen. Bis sich eine gesicherte Rechtsprechung zu dieser Frage entwickelt hat, sollten dennoch einige Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden:
Der Mandatsvertrag sollte neben der Beauftragung mit der internen Untersuchung auch die Beratung der Organe der Gesellschaft im Vorfeld der Verteidigung gegen einen eventuell zu erhebenden Vorwurf der Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) und des Unternehmens im Vorfeld einer Nebenbeteiligung mit dem Ziel der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße (§ 30 OWiG) umfassen.
Es sollte plausibilisiert werden, dass insbesondere solche Dokumente, die sich nicht ausschließlich auf einen bereits bestehenden straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verdacht beziehen, inhaltlich dennoch in einem Zusammenhang mit der Verteidigung stehen.
Schließlich sollte sorgfältig erwogen werden, wer auf welchem Wege Zugang zu den Dokumenten enthält. Insbesondere bei einer Versendung der Dokumente per E-Mail ist Vorsicht geboten. Wer Dokumente kennt, kann möglicherweise über ihren Inhalt als Zeuge vernommen werden.
Grundsätzlich ist nach wie vor die Aufbewahrung in der Rechtsanwaltskanzlei der sichere Weg.
notiert von Frank, v. Holtzendorff
06/2016