Der dritte Strafsenat des BGH hat am 5. Mai 2011 (AZ: 3 StR 458/10) die mit Spannung erwartete Entscheidung der Frage, ob sich ein niedergelassener Vertragsarzt der Bestechlichkeit strafbar machen kann, dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt. Der Große Strafsenat ist für die Beantwortung grundsätzlicher Rechtsfragen zuständig, wenn dies zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist.

Die Vorlage an den Großen Senat zeigt, dass die Beantwortung der seit langem streitigen Frage über den vorliegenden Einzelfall hinaus erhebliche Auswirkungen auf die Strafverfolgungspraxis im Bereich des sog. Pharmamarketing hat.

Damit ist noch nicht abschließend geklärt, ob sich niedergelassene Vertragsärzte gemäß § 299 Abs. 1 StGB der Bestechlichkeit  strafbar machen können.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Verden führte gegen den Geschäftsführer eines Medizingeräteherstellers ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 StGB. Das Unternehmen stellte den niedergelassenen Vertragsärzten (früher Kassenärzte) hochwertige Geräte zur elektromagnetischen Reizstromtherapie für deren Praxis zur Verfügung und erließ das hierfür zu zahlende Entgelt vollständig oder teilweise, wenn die Vertragsärzte Verordnungen über den Bezug von Reizstromtherapiegeräten für den häuslichen Gebrauch ausstellten.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer wurde eingestellt, da dieser einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft in einem selbständigen Verfallsverfahren, gegen das Unternehmen Wertersatz in Höhe von 350.225,- EUR für verfallen zu erklären.

Das Landgericht Stade (Urteil vom 4.8.2010, 12 KLs 170 Js 18207/09 (19/09) lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft Verden ab, den erlangten Umsatz beim Hersteller abzuschöpfen. Der 3. Strafsenat des BGH hat nun die Frage, ob Vertragsärzte „Beauftragte“ der Krankenkassen im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB und damit taugliche Täter einer Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr sein können, dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt.

Die bisherige Rechtsprechung

Höchstrichterliche Entscheidungen sind bisher nicht ergangen. Nachdem das OLG Braunschweig mit einem Beschluss vom 23.02.2010 (Ws 17/10) den Ball ins Rollen gebracht und in einem obiter dictum niedergelassene Vertragsärzte als „Beauftragte“ der Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB eingeordnet hatte, gingen immer mehr Staatsanwaltschaften dazu über, gegen niedergelassene Vertragsärzte und Pharma-Mitarbeiter wegen des Verdachts der Korruption nach § 299 StGB zu ermitteln.

Das Landgericht Hamburg hat am 09.12.2010 einen niedergelassenen Vertragsarzt, der von einem Pharmahersteller umsatzabhängige Prämien für die Verordnung von Medikamenten erhalten haben soll, wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Gleichzeitig verurteilte das Landgericht die mitangeklagte Außendienstmitarbeiterin des Pharmakonzerns wegen Bestechung zu einer Geldstrafe von ebenfalls 90 Tagessätzen. Das AG Ulm (3 Cs 37 Js 9933/07) hatte als erstes deutsches Gericht bereits am 26.10.2010 in einem gleichgelagerten Fall zwei niedergelassene Vertragsärzte einer Gemeinschaftspraxis, die umsatzabhängige Prämien vom Pharmaunternehmen für die Verordnung von Medikamenten erhalten haben sollen, wegen § 299 StGB sowie Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und einer Geldbuße in Höhe von 20.000,- Euro verurteilt.

Aktuelles

Es war zwar zu erwarten, dass der BGH seine Rechtsentwicklung vom Abrechnungsbetrug über die Verordnungsuntreue bis zur Korruptionsstrafbarkeit fortsetzen wird: Bereits 2003 und 2004 hatte der BGH entschieden, dass der Vertragsarzt bei der Verordnung von Arzneimitteln als „Vertreter der Krankenkasse“ handelt und den Abrechnungsbetrug um die Verordnungsuntreue erweitert (BGH NJW 2004, 454 sowie BGH NStZ 2004, 568).

Doch hat der Große Senat für Strafsachen mittlerweile am 29.03.2012 entschieden, dass sich Kassenärzte nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen (GSSt 2/11).

Das Risiko für Ärzte und Pharmareferenten, in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten, ist dennoch hoch. Absprachen zwischen Vertragsärzten und der Pharmaindustrie, die bis vor kurzem noch gängige Praxis waren, Einladungen zu Ärztereisen, Rückvergütungen oder Sponsoring von Praxisausstattungen, können nicht nur die Strafverfolgung begründen:

Die Praxis verstößt oft bereits gegen die ärztliche Berufsordnung sowie § 7 HWG, nach der es Ärzten nicht gestattet ist, für Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte anzunehmen. Denn der Arzt muss in seiner Entscheidung über die Auswahl einer Behandlung frei sein.

Der wissenschaftliche Austausch zwischen Ärzten und Pharmaindustrie, um etwa Produkte weiterzuentwickeln, muss stattfinden dürfen. Die Orientierung an den strengen Grundsätzen und Verhaltensrichtlinien bzw. -kodizes, die für die Zusammenarbeit der Pharma- und Medizinprodukteindustrie und der Ärzte in Kliniken entwickelt wurden, ermöglicht auch in Zukunft Kooperationen (Kodex Medizinprodukte des BVMed, FSA-Kodex Fachkreise - Orientierung an den Grundsätzen Trennungsprinzip, Äquivalenzprinzip, Dokumentationsprinzip, Transparenzprinzip).

Zum Thema:

„Mächtig Aufruhr in der Branche“ – Interview mit RA Dr. Niklas Auffermann in der Financial Times Deutschland vom 3.5.2011

Landgericht Hamburg verurteilt niedergelassenen Arzt und Pharmareferentin

Neue Straftatbestände für Ärzte

Ermittlungsbehörden und KV rüsten für Ermittlungsverfahren gegen Ärzte auf

Notiert von Auffermann 05/2011

Quelle: Pressestelle des BGH